MIT Technology Review 10/2016
S. 96
Fundamente
Jubiläum

Idee mit langer Leitung

Vor 140 Jahren entdeckten Forscher, dass sich aus Sonnenlicht elektrischer Strom gewinnen lässt.

Selenstäbe wie diese wurden ab 1873 für Tests von Unterseekabeln verwendet. Bei Sonnenlicht zeigen sie merkwürdige Eigenschaften. James Maxwell entdeckte die Ursache: den photoelektrischen Effekt. Foto: Courtesy of the I.E.T.

Am 30. Oktober 1876 beobachtete der schottische Physiker James Clerk Maxwell ein Phänomen, das die Welt verändern sollte. „Das Halbleitermaterial Selen produziert Elektrizität, wenn man es Licht aussetzt“, schrieb er an einen Kollegen. Emphatisch fügte er hinzu: „Gepriesen sei die Sonne!“

Maxwell hatte den Beweis erbracht, dass ein Feststoff Sonnenlicht direkt in elektrische Energie wandeln kann. „Allerdings setzte Selen nur ein halbes Prozent der einstrahlenden Solarenergie in elektrischen Strom um“, sagt John Perlin, Physiker an der University of California in Santa Barbara und Autor des 500-Seiten-Werks „Let It Shine: The 6000-Year Story of Solar Energy“.

Dennoch wollte Charles Fritts den „photoelektrischen Effekt“ nutzbar machen. Der New Yorker Erfinder baute 1880 aus einem halbleitenden Selen-Wafer mit einem hauchdünnen Überzug aus Gold das erste Photovoltaikmodul. Viele Wissenschaftler zweifelten allerdings an der Seriosität von Fritts Erfindung. Denn nach wie vor wusste niemand, wie seine Solarzellen wirklich funktionierten. Erst 1905 konnte Albert Einstein den photoelektrischen Effekt mit seiner Quantentheorie des Lichts erklären – wofür er später den Nobelpreis erhielt.

Doch die Ausbeute von Solarzellen aus Selen blieb gering. Den Durchbruch brachte erst das Silizium. „1952 trieb Gerald Pearson die Solarzellentechnik voran“, schreibt Perlin. „Bei Experimenten mit Silizium-Transistoren in den Bell Laboratories machte der US-Forscher zufällig eine Entdeckung: Silizium weist bei Lichteinfluss einen fünfmal so hohen Wirkungsgrad auf wie Selen.“

Es gelang, den Wirkungsgrad auf zehn Prozent zu steigern. Doch die Entdeckung der Kernspaltung und die Entwicklung der Atomkraft brachten US-Präsident Dwight D. Eisenhower 1953 dazu, das Programm „Atome für den Frieden“ auszurufen. Damit flossen Hunderte von Milliarden Dollar in den Ausbau der Kernkraft und verdrängten die Photovoltaik für lange Zeit. Man glaubte, mit dem Anbruch des Atomzeitalters könnten alle Energieprobleme der Menschheit mit einem Schlag gelöst werden.

Die Raumfahrt indes erkannte sehr schnell den Nutzen der Solartechnik. Der erste amerikanische Satellit „Vanguard I“ startete am 17. März 1958 und besaß mehrere Solarmodule mit insgesamt 108 Silizium-Solarzellen. Dennoch hatte Vanguard zur Sicherheit noch eine chemische Batterie an Bord, die jedoch schon nach 18 Tagen erschöpft war. Dank der Solarzellen konnte Vanguard I noch bis 1964 wissenschaftlich wertvolle Daten zur Erde funken.

Für den irdischen Gebrauch war Strom aus Solarzellen aber lange Zeit noch zu teuer. Doch Verbesserungen bei der Siliziumproduktion, beim Design der Zellen und bei der Fertigung der Module haben den Wirkungsgrad in die Höhe getrieben und die Kosten gesenkt. In Deutschland hat die Produktion einer Kilowattstunde Solarstrom im Jahr 2000 um die 70 Cent gekostet. Heute sind es nur noch neun bis zehn Cent. Im kommenden Jahr sollen die Gestehungskosten in sonnenreichen südlichen Ländern auf drei Cent fallen, glauben die Analysten von GTM Research. Damit wird die Photovoltaik konkurrenzfähig zu fossilen Brennstoffen.

Neue Materialien versprechen zudem eine weit höhere Energieausbeute. Insbesondere Graphen sammelt ein sehr breites Spektrum des Sonnenlichts ein, wodurch Wirkungsgrade bis zu 60 Prozent möglich wären. Auch durch Solarzellen auf Basis des Minerals Perowskit oder rein organische Solarzellen auf Polymerbasis erhoffen sich Forscher hohe Wirkungsgrade bei viel geringeren Produktionskosten.

Wenn dann noch günstige Lösungen zur massenhaften Stromspeicherung hinzukommen, dürfte die Photovoltaik ihre besten Tage noch vor sich haben. JOSEPH SCHEPPACH