MIT Technology Review 11/2016
S. 38
Horizonte
Physik

Teilchenkanone im Schuhkarton

Teilchenbeschleuniger wie der LHC am Cern in Genf sind gigantische Maschinen, die nicht viel mehr tun, als Teilchen mit Energie aufzuladen. Das geht auch sehr viel kleiner, glauben Physiker aus den USA und Deutschland.

Wenn Sie bei Teilchenbeschleunigern an gigantische Anlagen und kilometerlange Röhren denken, müssen Sie wahrscheinlich bald umdenken. Peter Hommelhoff, Laserphysiker an der Universität Erlangen-Nürnberg, braucht keine riesigen Magneten, die auf minus 271 Grad Celsius gekühlt werden müssen. Er braucht keinen kilometerlangen Ringtunnel, wie er sich am Forschungszentrum Cern durch das Jura-Gebirge fräst. Ihm reicht: eine wenige Zentimeter große Glasplatte, auf die er winzige Rillen gekratzt hat, Laserlicht, um das Glas von unten zu bestrahlen – und schließlich eine Quelle für den Teilchenstrahl, beispielsweise ein Elektronenmikroskop. Fertig ist der Teilchenbeschleuniger. „Die Miniaturisierung der Beschleuniger kann man mit der Entwicklung von Computern vergleichen, die ursprünglich ganze Räume einnahmen und nun am Handgelenk getragen werden“, sagt Hommelhoff. Beschleuniger auf jedem Labortisch würden die Teilchenphysik auf eine völlig neue Stufe heben, weil nahezu jeder mit ihnen arbeiten könnte. Unerwartete Durchbrüche in Biologie, Materialforschung und Medizin wären denkbar.

Abschied vom Gigantismus: Mit diesem Röhrchen beschleunigten Forscher am Lawrence Berkeley National Laboratory Elektronen auf extrem hohe Energien. Foto: Roy Kaltschmidt/ BerkeleyLab

Noch allerdings scheint die Behauptung absurd angesichts des Aufwandes, den Forscher heute betreiben müssen, um Teilchen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit zu bringen. Mehr als 26 Kilometer lang ist der Large Hadron Collider (LHC), der weltweit leistungsfähigste Teilchenbeschleuniger am Genfer Cern. 1232 Magnete mit jeweils 15 Metern Länge sind nötig, um die Protonen darin auf eine Kreisbahn zu zwingen. Ursache für die Gigantomanie sind physikalische Gesetze: Die großen Beschleuniger verwenden elektromagnetische Felder, um positiv oder negativ geladene Teilchen auf Trab zu bringen. Partikel flitzen dabei durch eine Vakuumröhre und spüren ein wechselndes Mikrowellenfeld. Dessen Frequenz ist so eingestellt, dass die Teilchen – egal wo sie sich befinden – vor sich stets eine anziehende Kraft verspüren. Auf diese Weise werden sie schneller und schneller. Magnetische Felder halten die Teilchen auf ihrer Kreisbahn. Die Felder können allerdings nicht beliebig groß ausfallen. Irgendwann stößt die Elektronik an ihre Grenzen, Funken fliegen, die Beschleunigerstrecke wird zerstört. Die Teilchen müssen daher vom Start bis zu ihrem Ziel einen möglichst weiten Weg zurücklegen. Oder sie drehen – wie am LHC – Runde um Runde in einem viele Kilometer langen Ring. Dessen Krümmung kann nur so klein gebaut werden, wie es die Umlenkmagnete gerade noch zulassen. Erst wenn die Teilchen genügend Energie aufgenommen haben, prallen sie am Ende mit maximaler Geschwindigkeit zusammen. Zehn Jahre hat es daher gedauert, bis das Monstrum LHC einsatzbereit war. Gut drei Milliarden Euro flossen in das Projekt. Die Arbeit mit beschleunigten Teilchen ist daher einem exklusiven Club von Wissenschaftlern vorbehalten.