MIT Technology Review 11/2016
S. 62
TR Mondo

SCHWEDEN

Medizinischer Außenposten im Supermarkt

Einführung in die Geräte für den Check-up per Selbstbedienung. Foto: Jan Lindmark/ NHI

Medizinische Check-ups mit Selbstbedienung – das ist das neue Konzept des schwedischen Gesundheitssystems für den dünn besiedelten Norden. In mehr als zehn lappländischen Orten wurden in diesem Jahr dafür ausgelegte Gesundheitsräume eingerichtet, meist in Supermärkten, bei Platzmangel auch in Schulen. Sie sind ausgestattet mit Pritsche, Desinfektionsmitteln und Nadeln sowie mit Messgeräten für Blutdruck, Körpertemperatur und Blutanalyse. Für die Datenübertragung sorgt ein Internetanschluss, und für Rückfragen steht sogar ein Computer zur Verfügung.

Die Benutzer öffnen die Tür mit ihrer Krankenkarte, womit sie sich gleichzeitig dem medizinischen System gegenüber identifizieren. So landen die erhobenen Daten automatisch in ihren persönlichen elektronischen Akten auf einem Krankenhausserver, der mitunter mehr als hundert Kilometer entfernt ist. Einsehen können die Daten allerdings nur die behandelnden Mediziner.

Mit der Nadel ein Piks in den Finger, den Blutstropfen auf einen Messstreifen gedrückt und diesen wiederum in ein handygroßes Messgerät gesteckt: Nach wenigen Sekunden liegen etwa die wichtigsten Blutwerte vor. Dasselbe passiert mit den restlichen Daten. Weichen diese Messwerte zu sehr von den üblichen Werten ab, ruft eine Krankenschwester oder ein Arzt den Patienten an und berät über entsprechende Maßnahmen. Wenn nötig, kommt eine Gemeindeschwester vorbei.

Bei komplizierten Fällen gehen die Vitaldaten sogar nach Stockholm zum Karolinska-Krankenhaus. Denn von dort aus können sich Ärzte oder ganze Teams auch per Videokonferenz ein Bild von ihrem Patienten machen.

Das Konzept wurde am Zentrum für die Medizin bewohnerarmer Gebiete an der Universität Umeå unter Leitung des Distriktarztes Peter Berggren entwickelt. Inzwischen gründete der Mediziner das Start-up Nordic Health Innovations, das den Gesundheitsraum zusammen mit Microsoft und Sigma weiterentwickelt und exportiert, beispielsweise bereits nach Indonesien, Kenia und Südafrika.

Aber es gibt auch Bedenken: So sei die Einsamkeit ein großes Problem in Schweden, sagte Hanna Falk, Pflegewissenschaftlerin an der Universität Göteborg, der Nachrichtenagentur TT. Technik könne nicht immer das persönliche Gespräch mit dem Arzt ersetzen.

HANNS-J. NEUBERT

KUWAIT

Staatlich verordnete Gendatenbank

Der Überwachungsstaat ist ein beliebtes Motiv der Science-Fiction. In Kuwait soll er Realität werden. Noch vor Jahresende wird das Scheichtum am Persischen Golf beginnen, seinen 1,3 Millionen Bürgern, den 2,9 Millionen im Land lebenden Ausländern und sogar Besuchern eine DNA-Probe abzuverlangen. Entnommen werden sollen die Proben bei der Einreise sowie bei den Anträgen für Aufenthaltsgenehmigungen, Ausweise und Pässe.

Das Ergebnis soll die weltweit erste nationale Datenbank sein. Geschätzter Kostenpunkt: 400 Millionen US-Dollar. Die kuwaitische Regierung begründet die Maßnahme mit ihrem Kampf gegen Terrorismus und Kriminalität. Sie reagiert damit auf das Selbstmordattentat vom Juni 2015, bei dem 27 Menschen in einer Moschee in Kuwait City starben. Nur eine Woche später wurde das DNA-Gesetz ratifiziert.

Die Vereinten Nationen und Menschenrechtsgruppen wie Human Rights Watch haben die Initiative jedoch als Angriff auf die Persönlichkeitsrechte kritisiert. Die Regierung selbst erwartet, dass bis zu 250000 Anwohner den Test verweigern werden. Viele Menschen scheinen schon jetzt das Land zu verlassen, jedenfalls verzeichnet der Immobilienmarkt bereits Rekordverkäufe.

Kritiker vermuten zudem, dass der Anti-Terror-Kampf als Grund vorgeschoben ist. Sie glauben, es geht darum, unliebsame Gruppen von der Einbürgerung auszuschließen wie die staatenlosen Bidun, die in Kuwait weder Militärdienst leisten noch Eigentum erwerben dürfen. Nicht zuletzt könnten anhand der Daten auch außereheliche Verhältnisse nachgewiesen werden, die in dem islamischen Land verboten sind.

ROMAN GOERGEN

USA

Werkschutz per Drohne

Die Sicherheitsdrohne von Aptonomy spürt Eindringlinge auf privatem Gelände auf. Foto: Aptonomy

Die Drohne dreht sich langsam mit einem lauten Summen in der Luft. Rote und blaue Lichter leuchten auf, ein Suchscheinwerfer blitzt mir in die Augen. „Die Security wurde benachrichtigt“, dröhnt eine Stimme aus den Lautsprechern des Flugobjekts. „Dieses Gelände ist abgesichert.“ Geht es nach dem amerikanischen Start-up Aptonomy, genügt diese Erfahrung, um Eindringlinge aus Fabriken, Warenhäusern und anderen Einrichtungen fernzuhalten. Außerdem sei die Drohne günstiger als Wachleute und effektiver als Kameras oder Alarmsysteme.

Ich lerne die Drohne bei einer Demonstration auf dem Testgelände von Aptonomy im Hafen von San Francisco kennen. Laut Mihail Pivtoraiko, dem Mitbegründer der Firma, sind die Drohnen vom kommenden Jahr an einsatzfähig. Für ein Bauunternehmen unternimmt das Team bereits Testflüge – und einige Ölraffinerien seien ebenfalls interessiert.

Die Flugobjekte sind im Durchmesser etwas mehr als ein Meter groß. Die Basis bilden Acht-Propeller-Drohnen für Luftfotografie, die mit weiterer Elektronik und Sensoren ausgestattet wurden. So ergänzt Aptonomy die Lichter, den Scheinwerfer und die beiden Lautsprecher. Videos fertigt die Drohne mit konventionellen Kameras, nutzt zugleich aber eine Nachtsichtoptik. Künftig soll zudem eine thermische Kamera eingebaut werden, um Menschen aus größerer Entfernung zu sichten.

Für ihre Einsätze werden die Drohnen darauf programmiert, automatisch ein bestimmtes Areal zu kontrollieren, Unbefugte aufzuspüren und zum Verlassen des Geländes aufzufordern. Bei Bedarf wird das Sicherheitsteam einer Kontrollstation benachrichtigt, das über das Gerät Kontakt zu Eindringlingen aufnehmen kann. Laut Pivtoraiko ist Aptonomy nicht daran interessiert, sein Flugobjekt zu bewaffnen. Falls ein Unbefugter die Drohne ignoriere, würde sie fortfahren zu filmen, während das Kontrollzentrum die Polizei benachrichtige.

Ryan Calo, auf Recht und Robotik spezialisierter Forscher an der University of Washington, findet die Idee zwar ungewöhnlich, sieht aber kein Argument, das dagegen spricht: „Das Überzeugende an dem Konzept ist, dass es sich um einen Ort handelt, an dem niemand etwas zu suchen hat.“

Eine Herausforderung für Aptonomy stellen allerdings die aktuellen Regeln der US-Luftfahrtbehörde dar. Sie wurden zwar kürzlich erweitert, um die kommerzielle Nutzung von Drohnen zu ermöglichen. Aber sie erlauben unbemannten Flugobjekten weder bei Nacht noch autonom außerhalb der Sicht des Piloten zu agieren. Eine ständige menschliche Aufsicht würde allerdings eine mögliche Kostenersparnis limitieren.

Kürzlich hat die Behörde jedoch einigen Firmen eine Sondererlaubnis erteilt, Drohnen bei Nacht oder außer Sichtweite fliegen zu lassen. Pivtoraiko hofft nun auf eine ähnliche Freigabe, weil seine Drohnen auf gut geschützten privaten Grundstücken operieren.

TOM SIMONITE

GROSSBRITANNIEN

Untergrundwasser heizt Bahnhofsgebäude

In Glasgow sammelt sich viel warmes Wasser in den Röhren der U-Bahn. Diese Wärme will die Stadt künftig mit zum Heizen ihrer Bahnhöfe nutzen. Foto: Ddp Images

Glasgows Metro birgt eine bislang ungenutzte Energiequelle: Wärme. Die U-Bahn in Schottlands größter Stadt fährt komplett unterirdisch, die Gleise liegen bis zu 35 Meter tief. Die 1896 erbaute Bahn unterquert auf ihrem 10,4 Kilometer langen Rundkurs die Flüsse Clyde und Kelvin. Die beiden Wasserstraßen sorgen gemeinsam mit dem Regenwasser dafür, dass unablässig Flüssigkeit in die alten Tunnelröhren sickert — Wasser, das sich erwärmt. „Das Abdichten ist unmöglich“, sagt Nicholas Hytiris, Wissenschaftler für Bautechnik und Umwelttechnologie an der Glasgow Caledonia University. Schuld sind die geologischen Strukturen. Der Boden besteht aus Schlick, Sand und Kies. „Ein bisschen Wasser tropft somit immer in die Röhren rein“, sagt Hytiris.

Wobei sich das „bisschen“ an vielen Stellen zu einer beträchtlichen Menge addiert. Das Wasser wird bislang in 21 Gruben gesammelt und in die Kanalisation gepumpt. Neuerdings wird es jedoch zunächst durch Wärmepumpen geleitet. Schließlich hat das Wasser mit 10 bis 14 Grad über das ganze Jahr hinweg eine gleich bleibende Temperatur. „Für eine Wärmepumpe ein vernünftiges Niveau“, sagt Gerhard Luther, Wärmepumpenexperte im Arbeitskreis Energie der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Die Wärmepumpen erhöhen die Temperatur auf rund 50 Grad. Die so gewonnene Energie heizt inzwischen zwei Tickethäuschen. Laut Hytiris gewinnt man dabei mit jedem aufgewendeten Kilowatt Strom rund drei Kilowatt Wärmeenergie, „ein sehr gutes Investment“. In naher Zukunft sollen alle 15 Stationen auf diese Weise beheizt werden. „Das Wasser müssen sie ohnehin abpumpen, da kann man die Energie auch nutzen“, sagt Luther.

Geboren wurde die Idee aus der Not heraus: „Wir haben wenig Energie in Schottland“, sagt Hytiris. „Bis zum Jahr 2020 wollen wir hier 20 Prozent erneuerbare Energien haben.“ Also startete man ein Forschungsprojekt, um zu untersuchen, wie viel Potenzial im Untergrund schlummert. Dazu stieg ein Student über Monate hinweg nachts in die Tunnel, wenn keine Züge fahren. Man analysierte, wie viel Wasser eintritt, maß dessen Temperatur und untersuchte die Qualität. Fazit: „An manchen Stellen sind es je Sekunde bis zu zwölf Liter“, berichtet Hytiris.

Ganz neu ist die Methode, warme Untergrundgewässer anzuzapfen, nicht. In der Schweiz nutzt man Tunnelwässer seit Langem. Unter den Bergmassiven steigen die Temperaturen auf bis zu 30 Grad. Das warme Wasser von rund 700 Tunneln nutzen die Eidgenossen zum Heizen von Wohnungen, Betriebsstätten, Gewächshäusern und sogar einer Fischzuchtanlage.

In Glasgow denkt man nun sogar darüber nach, die Energie stillgelegter Stollen anzuzapfen. Potenzial sei reichlich vorhanden, sagt Hytiris: Mit der Energie der Untergrundgewässer ließen sich rund 40 Prozent des städtischen Heizbedarfs decken.

DANIEL HAUTMANN