MIT Technology Review 11/2016
S. 86
Meinung
Bücher

Bunte Wirtschaft

Ein üppiger Bildband macht wirtschaftliche und technische Zusammenhänge verständlicher.

Jan Schwochow, Thomas Ramge: Wirtschaft verstehen. Eine Einführung in 111 Infografiken Econ, 238 Seiten, 38 Euro

Wirtschaftsgrafiken – das klingt erst mal nach zittrigen Börsenkursen und drögen Balkendiagrammen. Der Wirtschaftsjournalist Thomas Ramge und der Infografiker Jan Schwochow zeigen, dass es auch anders geht.

Mit 111 Grafiken richten sie sich an „alle, denen es nicht gelingt, jeden Morgen den Wirtschaftsteil der ,F.A.Z.‘ durchzuarbeiten, und die die Ringvorlesung ,Einführung in die Betriebswirtschaftslehre‘ leider verpasst haben – oder verschlafen“, wie sie im Vorwort schreiben.

Ihr opulenter Bildband beginnt mit der „kleinsten ökonomischen Einheit“ – dem Menschen – und weitet sich dann auf Unternehmen, Länder, Weltwirtschaft und Umwelt aus. Selbst an abstrakte Themen wie Wirtschaftstheorie trauen sich die Autoren heran. Denker wie Aristoteles, Marx, Keynes und Friedman bekommen ihre eigenen Doppelseiten, die ihre Theorien illustrieren.

Auch für Leser, die sich eher für Technik als für Ökonomie interessieren, bietet der Bildband einiges. So ist ein ganzes Kapitel den Themen Zukunft, Innovationen und Digitalisierung gewidmet. Mitunter sind die Grafiken allerdings lediglich hübsch und liefern keinen weiteren Erkenntnisgewinn – etwa bei den Themen Industrie 4.0 oder Big Data. Generell zählen die Beiträge zu diesen Themenkomplexen leider nicht zu den inspiriertesten des Buches. Zum Glück machen viele andere Illustrationen das Manko wett. Die Autoren scheuen sich nicht, ihren Lesern auch eine gewisse Anstrengung zuzumuten. Einige Diagramme und Illustrationen sind so komplex, dass man sich minutenlang hinein vertiefen kann. Doch das lohnt sich. Wann hat man schon einmal übersichtlich aufgeschlüsselt bekommen, was genau die Unterschiede zwischen Gesellschaftsformen wie AG, GmbH, KGaG und Ltd sind?

Besonders beeindruckend sind solche Grafiken immer dann, wenn sie direkte Größenverhältnisse darstellen – etwa den Verdienst in den verschiedenen Berufsgruppen oder die Ausgaben von Bund, Ländern und Kommunen. Insgesamt also eine spannende Lektüre, die man immer wieder gern aufschlägt, um Neues zu entdecken. GREGOR HONSEL

SCIENCE-FICTION

Der Kampf ums große Geschäft

Einen Science-Fiction zu schreiben, der in der unmittelbaren Zukunft spielt, ist riskant. In „Legal High“ skizziert Rainer Schmidt ein unglaubliches Szenario im Jahre 2019, in dem sich die Kanzlerin am Ende zur Legalisierung von Cannabis in Deutschland entschließt. Treibende Kraft ist neben dem Finanzminister und den bayerischen Bauern die katholische Kirche. Doch das sind nur treffsichere Seitenhiebe des Autors. Vor allem entspinnt sich im Vorfeld der Zulassung ein gnadenloses Wettrennen um die Pfründe zwischen Chemieunternehmen, Getränkeherstellern und all jenen, die sich eine Portion vom Kuchen sichern wollen. Derweil sitzt der Dude, Held aus Schmidts Vorgängerroman „Die Cannabis GmbH“ und einst Züchter bester Hanfpflanzen, noch im Gefängnis.

Mit seiner ebenso amüsanten wie brillanten Gesellschaftssatire leistet Schmidt, selbst Nichtkonsument, keinen Beitrag zu irgendeiner Debatte. Der Anhänger einer kontrollierten Legalisierung entwirft vielmehr einen Kosmos voll schillernder Figuren und einen zwar grotesken, aber keineswegs unrealistischen Kampf ums große Geschäft. Inge Wünnenberg

Rainer Schmidt: „Legal High“. Rowohlt Berlin, 352 Seiten, 19,95 Euro (E-Book 16,99 Euro)

BIOLOGIE

Kleinste Einheit allen Lebens

Vom Drang, komplexe Vorgänge verständlich, aber nicht zu stark vereinfacht zu erklären, ist dieser Band beseelt. Quasi generalistisch ist zudem der Ansatz, den Jack Challoner in seinem populärwissenschaftlichen Werk „Die Zelle“ verfolgt. Der studierte Physiker erläutert nicht nur, wie Zellen in allen Einzelheiten funktionieren, wobei natürlich die Vererbung im Zentrum steht. Er schlägt immer auch die Brücke vom Menschen über das Tier bis hin zu Pflanzen und den Einzellern. Besonders anregend sind seine Exkurse zur Gentechnik, über die Entdeckung der Zellen oder über die obskuren einzelligen Archaeen, die an lebensfeindlichen Orten wie im Schwefeldampf oder in Salzseen existieren.

Mit großer Leichtigkeit beschreibt der Brite, der als Pädagoge am Londoner „Science Museum“ tätig war, komplexe Vorgänge wie die Funktionsweise von Stammzellen, des Immunsystems oder den Umgang des menschlichen Körpers mit Krebszellen. Abgerundet wird der Band durch meist an modernsten Mikroskopen aufgenommene und wirkungsvoll eingefärbte Illustrationen, die in ihren schillernden Farben bisweilen an Kunstwerke erinnern. Vor allem aber veranschaulichen sie illustre Objekte wie den Ebolavirus oder auch, wie unterschiedlich die menschlichen Zellen aussehen – von der Nervenzelle über die Blutkörperchen bis hin zum Fettgewebe. Inge Wünnenberg

Jack Challoner: „Die Zelle. Ursprung des Lebens“. Theiss Verlag, 192 Seiten, 250 Illustrationen, 29,95 Euro

Wirtschaft

Deutscher Missmut

Spätestens seit Christoph Keeses Buch „Silicon Valley – Was aus dem mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt“ ist es schick, vom Untergang der europäischen Industrie zu sprechen. So hätte es spannend werden können, was Keeses Nachfolgewerk „Silicon Germany – Wie wir die digitale Transformation schaffen“ bereithält. Aufbruchstimmung? Leider nicht. Dafür gäbe es zwar einige gute Gründe, aber Keese steckt in der Falle, die er sich mit dem ersten Band selbst gestellt hat: Positive Geschichten konterkarieren die ursprüngliche These.

Am auffälligsten ist dies, wenn er tatsächliche Erfolgsgeschichten nicht konsequent zu Ende denkt. Heizungsthermen sind dafür ein kleines Beispiel, aber ein typisches. Warnend schreibt er, wie neue Anbieter in die Domäne von Traditionsfirmen wie Viessmann vordringen. Tado taucht als heimischer Anbieter auf. Aber daraus folgt für Keese seltsamerweise nicht, wie gut Deutschland bei genauerem Hinsehen dasteht. Sondern dass Viessmann die digitale Transformation verschlafen hat. Stimmt natürlich, aber das Thema ist dann alte Traditionsfirma gegen jungen Herausforderer. Und nicht: Silicon Valley schlägt Deutschland. Robert Thielicke

Christoph Keese: „Silicon Germany – Wie wir die digitale Transformation schaffen“. Albrecht Knaus Verlag, 363 Seiten, 22,99 Euro