MIT Technology Review 11/2016
S. 97
Fundamente
Rückschau

Die Russen kamen nicht

An dieser Stelle blicken wir zurück auf Artikel, die vor fünf Jahren in Technology Review erschienen sind. Diesmal: Russische Raumfahrt

technology review 11/2011 Große Hoffnungen, schwere Rückschläge.

Es sollte ein Jahr des Aufbruchs werden: 2011 wollte Russland die Wiedergeburt seiner einst so erfolgreichen, zwischenzeitlich aber von vielen Pannen geplagten Raumfahrt einleiten. Die Sojus-Rakete war zwar seit Jahren ein zuverlässiger Zubringer zur ISS, doch nun sollten ambitioniertere Vorhaben folgen. TR stellte diese Projekte vor, darunter „Fobos-Grunt“, eine spektakuläre Mission zum Mars-Mond Phobos, die Bodenproben zur Erde zurückbringen sollte.

Die großen Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Zwar geht es nach mehrjähriger Verzögerung bei den beiden größten Prestigeprojekten langsam voran: 2014 startete die „Angara“, Russlands neue Allzweck- und Schwerlastrakete, zweimal erfolgreich. Und in diesem April konnte in Wostotschny im Fernen Osten die erste Startrampe eines neuen, supermodernen Weltraumbahnhofs eingeweiht werden – mit dem Bilderbuchstart einer modernisierten Sojus-Rakete.

Doch bis die Russen wirklich kommen, wird es wohl noch dauern, denn den jüngsten Erfolgen stehen schwere Rückschläge gegenüber. Fobos-Grunt scheiterte schon beim Start – der Antrieb versagte wegen eines Computerfehlers. Es folgten ein knappes Dutzend weiterer Fehlstarts, viele prestigeträchtige Missionen wurden gestoppt. Die russische Raumfahrtagentur Roskosmos hatte seit 2011 vier Chefs. Selbst kremltreue Medien berichten regelmäßig über unzureichende Kontrollen, organisatorisches Chaos, Schlamperei und Korruption. In Wostotschny streikten letztes Jahr die Arbeiter, weil sie monatelang kein Geld erhalten hatten. Mehrere Baustellenmanager wurden wegen Veruntreuung verhaftet. Selbst Russlands für Raumfahrt verantwortlicher Vizeregierungschef Dmitri Rogosin, sonst als nationalistischer Schönredner bekannt, spricht von einer „Systemkrise“.

Die Gründe sind eine chronische, in den letzten Jahren noch verschärfte Unterfinanzierung sowie die Abwanderung der schlecht bezahlten Wissenschaftler und Ingenieure. Hinzu kommt: Die Kriege in der Ukraine und in Syrien binden Ressourcen, gleichzeitig leidet Russland unter dem Verfall der Rohstoffpreise und den Sanktionen. Zudem gibt Präsident Wladimir Putin der Entwicklung neuer Militärtechnologie inzwischen strikten Vorrang. KENO VERSECK