MIT Technology Review 11/2016
S. 96
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Foto: Ullstein Bild

Alles so schön bunt hier

Vor 80 Jahren begann die Ära der Farbfotografie für jedermann.

Die Zeitungen überschlugen sich vor Begeisterung. Vom „Ei des Kolumbus“ schwärmte der „Berliner Lokal-Anzeiger“, das NS-Blatt „Der Angriff“ schwadronierte von einem „Wunder“.

Die Journalisten hatten am 17. Oktober 1936 in Berlin eine aufsehenerregende Diashow erlebt. Mit großen Projektionen von „vielfarbigen Blumenbeeten“ und „Nachtaufnahmen des farbig beleuchteten Berlin“ wurde ihnen der „Agfacolor Neu Farbumkehrfilm“ präsentiert. Er machte erstmals Farbfilme in Kinoqualität möglich und die Farbfotografie für Hobbyknipser erschwinglich. Mit dem Verfahren ließen sich zudem auch Negative herstellen.

Joseph Goebbels sah sofort die Bedeutung der bunten Streifen für seine Propagandamaschinerie und verordnete Agfa einen Preis, der unter den Kosten lag. Damit fiel es Konkurrent Kodak schwer, auf dem deutschen Markt Fuß zu fassen. Die US-Firma hatte kurz zuvor, im August 1936, mit dem „Kodachrome“ einen eigenen Farb-Diafilm herausgebracht, der ab 1937 auch in Deutschland erhältlich war. Doch das Agfa-Produkt war weitaus günstiger. „Der Kaufpreis von 3,60 Reichsmark für 36 Aufnahmen einschließlich Entwicklung – also zehn Pfennig pro Dia – trug zum schnellen Markterfolg bei“, sagt Filmhistoriker Gert Koshofer. Kodak war mit 6,50 Reichsmark für nur 18 Aufnahmen mehr als dreimal so teuer.

Beide Filme beruhten auf einer Idee des Chemikers Rudolf Fischer von der „Neuen Photographischen Gesellschaft“ in Berlin. „Er hatte schon 1912 einen Farbfilm vorgeschlagen, der gleichsam das menschliche Auge nachbildet“, erklärt Koshofer. Dieses spricht auf die Farben Blau, Rot und Grün an. Beim Farbfilm liegen dementsprechend drei Schichten übereinander, die für das jeweilige Farbspektrum sensibel sind.

Die lichtempfindlichen Silberkörner der Emulsionen sind allerdings selbst nicht farbig. Die eigentliche Kolorierung erzeugen erst „Farbkuppler“, die sich an die jeweiligen Schichten binden.

Ein entscheidendes Problem blieb dabei lange ungelöst: Die eingelagerten Substanzen diffundierten in andere Schichten. Erst Kodak und Agfa fanden eine Lösung – wenn auch jeder auf seine Art: „Kodak ging den Weg mit Farbkupplern in den Entwicklerlösungen“, sagt Koshofer. Das hatte eine äußerst komplizierte Entwicklung mit 27 Prozessstufen zur Folge. Agfa reichten fünf.

Zu verdanken war die elegantere Variante dem Chemiker Wilhelm Schneider von der Agfa-Filmfabrik in Wolfen bei Bitterfeld. Ihm gelang es, die Farbkuppler „diffusionsfest“ zu machen, indem er sie an sperrige Kohlenwasserstoff-Ketten anhängte. Allerdings litten darunter Brillanz und Schärfe der Bilder. Wer es sich leisten konnte, griff lieber zu Kodachrome.

Zudem benötigten die ersten Diafilme noch sehr viel Licht. Die Empfindlichkeit der Agfacolor-Streifen lag nach heutigem Maßstab zunächst bei nur bei ISO 4. 1938 konnte Agfa sie durch Zugabe winziger Goldpartikel auf ISO 25 steigern.

Nach Kriegsende musste Agfa seine Rezeptur offenlegen, sodass auch Fremdfirmen Filme nach dem Agfa-Prinzip herstellen konnten. Dennoch wurde der Agfacolor CT 18 in den späten 1950er-Jahren zum meistverkauften Diafilm Westeuropas. Er stammte aus dem Werk in Leverkusen. Die Filmfabrik in Wolfen musste 1964 auf Beschluss der DDR-Regierung den Namen und die Marke Agfa aufgeben. Sie nannte ihre Produkte fortan „Orwo“ („Original Wolfen“). Nach der Wende wurde sie liquidiert. 2005 musste auch die AgfaPhoto GmbH in Leverkusen Insolvenz anmelden. Kodak nahm seinen letzten Diafilm 2012 vom Markt – und kurz darauf sich selbst. JOSEPH SCHEPPACH