MIT Technology Review 12/2016
S. 68
Horizonte
Medizin
Aufmacherbild
Illustration: Patrick Kyle

Das Genom ist nicht genug

Erbgutentschlüsseler Craig Venter hat sein nächstes Giga-Projekt: Er will DNA-Informationen mit den Gesundheitsdaten von einer Million Patienten verknüpfen, um Krankheiten vorauszusagen.

Wer ihm Böses will, kann sagen: Craig Venter betreut künftig Hypochonder. Im Jahr 2000 hatten er und ein konkurrierendes Forscherteam die Entschlüsselung des kompletten menschlichen Genoms bekannt gegeben. Nun will er endlich das große Versprechen von damals einlösen: eine bessere Medizin. Sie soll Krankheiten gezielter behandeln – und vor allem erkennen, bevor sie ausbrechen. Zu dem Zweck gründete Venter die Firma Human Longevity Inc (HLI) und im Vorjahr das Angebot Health Nucleus. Man könnte es durchaus als Hypochonder-Paket bezeichnen: Die Teilnehmer verbringen einen Tag in der Zentrale im kalifornischen La Jolla. Dort berichten sie zunächst einem Arzt in einer 90-Minuten-Sitzung ihre Krankengeschichte. Danach kommen sie in den Genuss von medizinischen Hightech-Verfahren wie einem Ganzkörper-MRT, 4D-Herzultraschall und natürlich der Analyse ihres kompletten Erbguts. Anschließend gehen sie mit einem Brustband-Pulsmesser nach Hause und erfassen 14 Tage lang ihren Herzrhythmus. Eine Handy-App verrät ihnen am Ende, welche ihrer Gene mit möglichen Erkrankungen wichtiger Organe korrelieren. 25000 US-Dollar kostet das Angebot. Bisher haben sich schon 220 Teilnehmer gefunden. „Unser Ziel ist es, künftig Erkrankungen aufgrund des genetischen Codes bereits vor ihrem Ausbruch vorhersagen zu können“, sagt Venter.

Das sind große Worte, und wem sie bekannt vorkommen, liegt richtig. Schon einmal versprach die Wissenschaft das wunderbare Zeitalter der personalisierten Medizin, und das Erbgut sollte der Schlüssel sein. Forscher wollten endlich jene großen Leiden lindern, auf die es nach wie vor kaum gute Antworten gibt: Herz-Kreislauf-Krankheiten, Alzheimer und Krebs. Am Ende allerdings blieb die Revolution aus. Das Genom ist komplizierter als gedacht, direkte Zusammenhänge zwischen Geninformation und Krankheit ließen sich fast nie herstellen.