MIT Technology Review 12/2016
S. 102
Meinung
Bücher
Aufmacherbild
Photo © Fuad Ariff Abdul Rashid, Ort: Setiu, Terengganu, Malaysia, Aufgenommen mit: DJI Phantom 3, © 2016 DJI. All rights reserved. www.dji.com

Über- und unterirdisch

Ein neuer Bildband mit Drohnenfotos schwelgt in Farben und Formen.

Photo © Romeo Durscher, Ort: Los Osos, Kalifornien, USA, Aufgenommen mit: DJI Inspire 1 Pro, © 2016 DJI. All rights reserved. www.dji.com

Wie sich Äcker zu abstrakten Mosaiken formen, wie die Höhe verborgene Schönheit hervorholt, all das ist immer wieder betörend, aber nicht neu. Schon seit den Neunzigern dokumentiert etwa der französische Fotograf Yann Arthus-Bertrand die Erde von oben. Und mit Google Earth kann jeder Nutzer selbst auf Pirsch gehen. Was können Drohnenfotos dem noch hinzufügen?

Viele Motive aus dem Bildband „Überirdisch“ hätten tatsächlich von Arthus-Bertrand stammen können – etwa das malaysische Fischerboot inmitten seines Netzes (links). Doch wer genau hinsieht, entdeckt auch Bilder, die so nur mit Drohnen entstehen konnten: etwa die durch lange Belichtung verwischte Brandung an einer kalifornischen Küste (unten) oder die bunten Leuchtspuren eines Verkehrskreisels bei Nacht. Weder Flugzeuge noch Hubschrauber können für solche Aufnahmen ruhig genug in der Luft stehen. Moderne Drohnen hingegen stabilisieren ihre Kameras gut genug für längere Belichtungen.

Überirdisch – Die Schönheit der Welt in Drohnenfotografie teNeues, 208 Seiten, 59,90 Euro www.teneues.com, www.dji.com

Zudem können sie näher an ihre Motive herangehen, wie etwa beim Kletterer in der Felswand oder den Gittermasten eines Installationsschiffs, die sich dem Betrachter entgegenrecken. Kein Pilot der Welt hätte sich hier herangetraut – und schon gar nicht in die Hang-Son-Doong-Höhle in Vietnam. Unterirdische Luftaufnahmen dürften ein ganz neues Genre der Fotografie sein, das erst durch Drohnen erschlossen wird.

Ein weiterer Unterschied zur konventionellen Luftfotografie: Drohnen sind weitaus billiger. Die neue Technik sorge dafür, „dass ein demokratisches neues Spielfeld der Kunst entsteht, auf dem unbekannte Talente gleichberechtigt mit etablierten Künstlern wetteifern“, heißt es im Vorwort. Die Fotos des Bildbands stammen dementsprechend sowohl von Profis als auch von Amateuren.

Mitunter schwelgen die Fotografen bis an die Grenze zum Kitsch in satten Farben. Außerdem wird der Band vom chinesischen Drohnenhersteller DJI herausgegeben und ist entsprechend werblich geraten. Angesichts der vielfältigen spektakulären Aufnahmen lässt sich das verschmerzen. Der Preis hätte dann allerdings etwas geringer ausfallen können. GREGOR HONSEL

SCIENCE-FICTION

Mausoleum am Ende der Welt

Das Zukunftsszenario nimmt mitten im urbanen New Yorker Leben seinen Anfang: In Don DeLillos neuem Roman „Null K“ reist Jeffrey zu seinem Vater Ross und dessen junger Frau Artis in die menschenleere kasachische Wüste. Der schwerreiche Vater finanziert dort eine Einrichtung für Kryonik. Wie in den tatsächlich existierenden Instituten in den USA oder Russland lagert auch die Organisation namens „Die Konvergenz“ die Körper bei minus 196 Grad Celsius ein. Ross und die sterbenskranke Artis wollen sich für ein künftiges, gesünderes Leben konservieren lassen. Mit Skepsis begegnet Jeffrey dieser obskuren Idee von Ewigkeit: „Was soll das Leben, wenn wir nicht am Ende sterben?“

Bis zum Schluss wird der Eigenbrötler Vorbehalte gegen das artifizielle Mausoleum pflegen. Zugleich aber faszinieren Jeffrey die dort aufgesogenen surrealen Eindrücke – etwa von seinem Besuch bei den tiefgefrorenen nackten Toten in den Grabkammern. Gekonnt gestaltet der inzwischen 80 Jahre alte Autor diesen Konflikt zwischen Sohn und Vater. Die eigentliche Hauptrolle aber spielt die Sprache, mit der DeLillos Protagonisten die Welt erfahren und begreifen. Inge Wünnenberg

Don DeLillo: „Null K“, Kiepenheuer & Witsch, 288 Seiten, 20 Euro (E-Book 17,99 Euro)

Thriller

Aufstand der Superkinder

Bestseller-Autor Marc Elsberg hat ein Gespür für aktuelle Themen. Diesmal hat er die Fortschritte der Biotechnologie in seinen Thriller eingebaut: Der US-Außenminister bricht bei einem Staatsbesuch in München urplötzlich zusammen und stirbt kurz darauf. Die Sicherheitsdienste vermuten einen Anschlag mit einer maßgeschneiderten Biowaffe. In Tansania entdecken Mitarbeiter eines internationalen Chemiekonzerns genetisch veränderte Maispflanzen, die trotz extremer Trockenheit bestens gedeihen. Gleichzeitig wenden sich Helen und Greg, ein Paar, das keine Kinder bekommen kann, an eine Kinderwunschklinik in Kalifornien. Der Arzt vermittelt sie an eine illegale Klinik, in der Leihmütter schon seit Jahren künstlich gezeugte, genetisch verbesserte Kinder austragen. Dann verschwindet eines dieser Kinder, und alles deutet auf einen Zusammenhang mit den Ereignissen in München und Tansania hin.

Marc Elsbergs „Helix“ ist keine große Literatur, in typischer Thriller-Manier erzählt, mit geschickt eingeflochtenen Infohäppchen, etwa zu Gene-Editing. Das Unbehagen, das einen beim Lesen beschleicht, speist sich daher weniger aus der Atmosphäre des Buches, sondern aus dem Wissen, dass vieles von dem, was Elsberg schildert, schon verdammt nah dran ist. W. STIELER

Marc Elsberg: „Helix. Sie werden uns ersetzen“, Blanvalet Verlag, 648 Seiten, 22,99 Euro

BILDBAND

Klassiker in schöner, neuer Gestalt

Als eifriger Sammler und wissbegieriger Theologe begab sich Charles Darwin im Alter von nur 22 Jahren auf eine Expedition rund um die Welt. Von dieser fünf Jahre währenden Fahrt brachte der Brite, der wie kaum ein anderer die Moderne beeinflussen sollte, ein bis heute äußerst lesenswertes Reisetagebuch mit. 1839 das erste Mal erschienen, gilt „Die Fahrt der Beagle“ längst als Klassiker. Der Darmstädter Theiss Verlag aber hat die elegante Übersetzung von Eike Schönfeld nun in einem an alte Folianten erinnernden, ansprechend gestalteten Bildband neu herausgegeben. Drucke, Skizzen, Bilder und Illustrationen aus dem 19. Jahrhundert sowie einige moderne Fotografien ergänzen Darwins detaillierte Beschreibungen der besuchten Stätten und vor allem der Natur. Darüber hinaus ergänzen einige etwas nüchterner gehaltene Auszüge aus dem Reisebericht von Robert FitzRoy, dem Kapitän der „Beagle“, Darwins Schilderungen. Auf die Reichweite der vor Ort gesammelten Erkenntnisse des Begründers der Evolutionstheorie machen Abschnitte aus dem Hauptwerk des Naturforschers „Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl“ aufmerksam und runden die einladende Ausgabe gekonnt ab. Inge Wünnenberg

Charles Darwin: „Die Fahrt der Beagle“, Theiss Verlag, 480 Seiten., 49,95 Euro.