MIT Technology Review 12/2016
S. 3
Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

Jeder redet von Daten als dem neuen Rohstoff. Dabei sind Daten nicht einfach nur die nächste Ressource. Sie sind das neue Schicksal. Sie bestimmen über unsere Zukunft. Bei vielem, was wir künftig tun, werden Algorithmen uns leiten, gefüttert mit Informationen über unseren Alltag, unsere Arbeit, das Leben an sich und sämtliches Wissen, was in irgendeiner Form für Computer greifbar ist.

Die Berechnung des Schicksals ist unheimlich. Aber ist ein unberechenbares Schicksal wirklich besser? Am augenfälligsten wird dies in der Medizin. Dort arbeiten Forscher derzeit an der wohl umfassendsten Vermessung des Menschen. Sie entschlüsseln das Erbgut von Millionen Menschen, erfassen sämtliche zugänglichen Informationen über ihre Gesundheit – und wollen die Daten so verknüpfen, dass sich Krankheiten nicht nur therapieren, sondern sogar verhindern lassen. Natürlich besteht die Möglichkeit, dass die Forscher in ihren Daten ersticken. Warum dies aber keineswegs der Fall sein muss, schreiben wir ab Seite 68.

Aber auch wer das Schicksal berechenbar macht, muss mit Schicksalsschlägen rechnen. Datenmissbrauch ist einer davon, und er kann in dieser Welt verheerende Folgen haben. Im Hintergrund aber wartet noch eine zweite Gefahr: die Verführungskraft der Daten. Nackte Zahlen besitzen eine Macht, gegen die man schwer ankommt, selbst wenn die Analyse falsch ist. Ein Manager wird sich dreimal überlegen, ob er sich über sie hinwegsetzt.

Je mehr wir messen und analysieren, desto enger wird der Spielraum. Wir laufen Gefahr, Entscheidungen so lange zu normieren und zu optimieren, bis eigentlich keine Entscheidungen mehr zu treffen sind. Die große Gefahr der Digitalisierung sind keine Roboter, die menschenähnlich sind, sondern Menschen, die roboterähnlich werden. Denn auf der Strecke bleibt dann, was wir angesichts wachsender Weltbevölkerung und Klimawandel dringender brauchen denn je: neue Ideen. Wagen wir weniger Effizienz, fordert daher mein Kollege Wolfgang Stieler in unserer Titelgeschichte ab Seite 28

Ich begrüße Sie in unserer Dezember-Ausgabe.

Ihr

Robert Thielicke

Unterschrift