MIT Technology Review 2/2016
S. 50
Horizonte
Papier

Papier, was wird aus dir?

E-Books, E-Mails, Zeitungs-Apps: Mit der digitalen Revolution sinkt der Papierbedarf. Nun entdeckt die Branche: Sie kann mit dem Material weit interessantere Dinge anstellen, als nur Farbe aufzudrucken.

Papierobjekte aus dem 3D-Farbdrucker der Firma Mcor Technologies. Fotos: Mcor Technologies

Bevor Sie diese E-Mail ausdrucken, denken Sie an die Umwelt!“ Wann haben Sie das zum letzten Mal gelesen? Vermutlich ist es schon eine Weile her. Mails drucken wir nur noch selten aus, die Steuererklärung wandert elektronisch ins Finanzamt, die Auflage von Magazinen und Zeitungen sinkt stetig, elektronische Ausgaben verbreiten sich zusehends. Die digitale Revolution fordert ein Gewerbe heraus, das die letzten 570 Jahre durch die Erfindung des Buchdrucks ein gesichertes Auskommen hatte. „Der Rückgang bei der Produktion von Papier für Zeitungen und Magazine hat bereits dazu geführt, dass ein Viertel der dafür benötigten Maschinen in Europa verschrottet werden mussten“, sagt Frank Miletzky, Vorstandsvorsitzender der Papiertechnischen Stiftung (PTS), einem Forschungsinstitut der Papierindustrie. „Der Rückgang bei den Büropapieren ist noch nicht so ausgeprägt, aber das ändert sich gerade.“ Insgesamt sank der Anteil der sogenannten grafischen Papiere an der Gesamtproduktion von 49 Prozent im Jahr 2005 auf 38 Prozent im Jahr 2014. Noch macht der gestiegene Bedarf an Verpackungskarton den Rückgang wett, weil der Internethandel boomt. Doch die Sorge ist groß, dass der Abschwung nicht aufzuhalten sein wird, wenn der Absatzmarkt für bedruckbares Papier irgendwann ganz zusammenbricht.

Samuel Schabel testet die Zugfestigkeit von Pappe. Foto: Sandra Junker/ TU Darmstadt

Die Branche ist deshalb dabei, einen zwei Jahrtausende alten Stoff neu zu erfinden. Genügend Ansatzpunkte bietet das Material: Seine Zellulosefasern sind fest und gleichzeitig flexibel. Beim Herstellungsprozess lassen sie sich zudem in eine Vorzugsrichtung bringen, was die Zugfestigkeit noch mal erhöht. Gleichzeitig besitzt Papier genügend Hohlräume, um Zusatzstoffe aufzunehmen – wie heute etwa Calciumcarbonat, damit es glatter wird. Es dehnt sich bei Erwärmung nicht aus und widersteht vielen Lösungsmitteln. Zudem ist Papier durch die Massenproduktion extrem billig und lässt sich einfach bearbeiten. Mittlerweile dient es als Rohstoff für 3D-Drucker, als Material für Gebäude (siehe Interview S. 53) und beherbergt sogar Mikrolabore. Skandinavische Firmen gehen noch einen Schritt weiter: Sie erschaffen aus dem Grundstoff Zellulose Materialien mit völlig neuartigen Eigenschaften.

Sie wollen wissen, wie es weitergeht?

» Stabile Häuser werden von den Menschen getragen «

Man hat ihm den Spitznamen „Papier-architekt“ gegeben, weil er Gebäude aus Pappröhren baut. 2014 bekam der japanische Architekt Shigeru Ban den Pritzker-Preis, der als Nobelpreis der Architektur gilt. Im Interview erklärt er, warum Papier ein Baumaterial ist und was ein Haus tatsächlich stabil macht.

2014 eröffnete das Aspen Art Museum in Colorado (USA) seine Pforten. Shigeru Ban verlieh ihm eine Hülle wie ein Flechtkorb. Das Material ist ein Gemisch aus Holz und Papier, überzogen mit Kunstharz. Foto: Mauritius Images/ Alamy

TR: Herr Ban, was hat Pappe, was Stahl und Beton nicht haben?

BAN: Dass ich der Erste bin, der damit arbeitet. Und es ist einfach eine gute Geschichte. Das eigentlich schwächliche Baumaterial Papier kann massive und langlebige Gebäude hervorbringen. Pappröhren sind billig, leicht und überall auf der Welt zu bekommen. Als Industrieprodukt sind sie genormt, darum kann man einfach mit ihnen arbeiten. In diesem Punkt ist Holz komplizierter als Papier.

Wie kamen Sie denn auf die Idee mit den Pappröhren?

Als junger Architekt 1986 in Tokio war eines meiner ersten Projekte, eine Ausstellung mit Werken des finnischen Designers und Architekten Alvar Aalto zu planen. Um für seine Arbeiten die richtige Atmosphäre zu schaffen, wollte ich Holz verwenden. Aber das Budget war klein, und die Ausstellung sollte nur drei Wochen dauern. Irgendwie hatte ich keine Lust, für diese kurze Zeit Holz zu verschwenden. Nun standen bei uns im Büro gerade lauter Pappröhren mit Stoff herum, den ich für eine vergangene Ausstellung benutzt hatte. Dann erinnerte ich mich daran, wie stabil leere Faxpapier-Rollen sind. Am Ende nahm ich Pappröhren anstelle des Holzes für die Ausstellung. So fing ich an zu untersuchen, wie sich die Röhren in der Architektur verwenden lassen.