Papier, was wird aus dir?
E-Books, E-Mails, Zeitungs-Apps: Mit der digitalen Revolution sinkt der Papierbedarf. Nun entdeckt die Branche: Sie kann mit dem Material weit interessantere Dinge anstellen, als nur Farbe aufzudrucken.
Bevor Sie diese E-Mail ausdrucken, denken Sie an die Umwelt!“ Wann haben Sie das zum letzten Mal gelesen? Vermutlich ist es schon eine Weile her. Mails drucken wir nur noch selten aus, die Steuererklärung wandert elektronisch ins Finanzamt, die Auflage von Magazinen und Zeitungen sinkt stetig, elektronische Ausgaben verbreiten sich zusehends. Die digitale Revolution fordert ein Gewerbe heraus, das die letzten 570 Jahre durch die Erfindung des Buchdrucks ein gesichertes Auskommen hatte. „Der Rückgang bei der Produktion von Papier für Zeitungen und Magazine hat bereits dazu geführt, dass ein Viertel der dafür benötigten Maschinen in Europa verschrottet werden mussten“, sagt Frank Miletzky, Vorstandsvorsitzender der Papiertechnischen Stiftung (PTS), einem Forschungsinstitut der Papierindustrie. „Der Rückgang bei den Büropapieren ist noch nicht so ausgeprägt, aber das ändert sich gerade.“ Insgesamt sank der Anteil der sogenannten grafischen Papiere an der Gesamtproduktion von 49 Prozent im Jahr 2005 auf 38 Prozent im Jahr 2014. Noch macht der gestiegene Bedarf an Verpackungskarton den Rückgang wett, weil der Internethandel boomt. Doch die Sorge ist groß, dass der Abschwung nicht aufzuhalten sein wird, wenn der Absatzmarkt für bedruckbares Papier irgendwann ganz zusammenbricht.
Die Branche ist deshalb dabei, einen zwei Jahrtausende alten Stoff neu zu erfinden. Genügend Ansatzpunkte bietet das Material: Seine Zellulosefasern sind fest und gleichzeitig flexibel. Beim Herstellungsprozess lassen sie sich zudem in eine Vorzugsrichtung bringen, was die Zugfestigkeit noch mal erhöht. Gleichzeitig besitzt Papier genügend Hohlräume, um Zusatzstoffe aufzunehmen – wie heute etwa Calciumcarbonat, damit es glatter wird. Es dehnt sich bei Erwärmung nicht aus und widersteht vielen Lösungsmitteln. Zudem ist Papier durch die Massenproduktion extrem billig und lässt sich einfach bearbeiten. Mittlerweile dient es als Rohstoff für 3D-Drucker, als Material für Gebäude (siehe Interview S. 53) und beherbergt sogar Mikrolabore. Skandinavische Firmen gehen noch einen Schritt weiter: Sie erschaffen aus dem Grundstoff Zellulose Materialien mit völlig neuartigen Eigenschaften.