MIT Technology Review 6/2016
S. 96
Fundamente
Jubiläum

Das Schaf, das keinen Vater hatte

Vor 20 Jahren wurde Dolly geboren – und läutete ein neues Zeitalter in der Klonforschung ein.

Ian Wilmut präsentiert das Klon-Schaf Dolly. Foto: Murdo Macleod/ Polaris/ Laif

Aus seinem Bretterverschlag streckte Dolly den Kopf in die Kameras und posierte für Journalisten aus aller Welt. Das walisische Bergschaf war das Ergebnis eines biotechnologischen Meisterstücks: Forschern vom Roslin-Institut in Edinburgh war es erstmals gelungen, aus ausdifferenzierten Körperzellen ein neues Lebewesen zu erschaffen.

Am 5. Juli 1996 kam Dolly zur Welt. Erst ein halbes Jahr später wurde dieser Erfolg der Öffentlichkeit mitgeteilt – und polarisierte wie kaum eine andere Wissenschaftsmeldung. Während die einen auf neue, nützliche Kreaturen hofften, warnten Ethiker vor einem Spiel mit dem Leben und vor geklonten Menschen.

Für Fachleute war die angewendete Klonmethode – der „Nuclear Transfer“ – keineswegs neu. Sie beruht darauf, dass Forscher das Erbgut aus einem Zellkern entnehmen und in die Zelle eines fremden Tiers übertragen. Aus ihr wächst dann die erbgleiche Kopie. Auf diese Weise hatte man bereits Klone von Fröschen, Schafen und Mäusen erzeugt. Allerdings dienten hier Embryonen als Kernspender. In ihnen sind noch alle Gene aktiv, und sie können sich in alle Arten von Zellen entwickeln.

Doch embryonale Zellen haben ein Problem: Sie lassen sich nur schwer gewinnen. „Der Ausschuss an Säugetierembryonen ist sehr hoch“, sagt Embryologe Michele Boiani vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster. „Das macht das Klonen teuer.“

Ausgewachsene Zellen hingegen existieren im Überschuss – sei es in der Haut oder im Blut. Ihre Verwendung stieß jedoch lange an eine biologische Barriere: Ausgewachsene Zellen sind spezialisiert, etwa in Nerven- oder Nierenzellen. Viele Bereiche ihres Erbguts sind stillgelegt, weil sie nicht benötigt werden. Dieser Prozess sei unumkehrbar, lautete damals die gängige Lehrmeinung. Alle Klonierungsversuche mit bereits ausdifferenzierten Zellen schlugen fehl – bis die Embryologen Ian Wilmut und Keith Campbell mit Dolly den sensationellen Gegenbeweis erbrachten.

Zunächst entnahmen sie eine Euterzelle aus einem sechs Jahre alten Schaf und setzten sie in einem kargen Nährmedium auf Diät. Darbend schaltete die Zelle in den Sparmodus, versetzte alle Gene in den ursprünglichen Zustand und stoppte die Zellteilung. Die nun wieder jungfräuliche Zelle konnte die Erbvorlage für ein komplett neues Wesen werden.

Im nächsten Schritt entnahmen sie Eizellen aus einem zweiten Spenderschaf und entfernten deren Zellkern. Dann verschmolzen sie die jungfräuliche Körperzelle und die entkernte Eizelle. Das glückte mit einem Stromimpuls. Er setzte auch die Zellteilung in Gang. Der sich entwickelnde Embryo wurde einem dritten Schaf eingepflanzt, um ihn auszutragen. 276 Anläufe benötigen die Forscher, bis endlich ein 6,6 Kilogramm schweres Finn-Dorset-Lamm auf die Welt kam: Dolly, die exakte genetische Kopie des Schafs, aus dessen Euterzelle sie entstand. Namenspatronin war die vollbusige US-Countrysängerin Dolly Parton.

Die durchschnittliche Lebenserwartung von Schafen beträgt zwölf Jahre. Doch bald litt Dolly an Arthritis. Am 14. Februar 2003 wurde eine unheilbare Lungenkrankheit diagnostiziert. Noch am selben Tag wurde Dolly eingeschläfert. Das Klonschaf war nicht einmal sieben Jahre alt. Heute steht es ausgestopft in einer Glasvitrine im Royal Museum in Edinburgh.

Krankheiten kommen beim Klonen mit der Dolly-Technik sehr häufig vor, weil sich bei der Umprogrammierung genetische Fehler einschleichen können. Trotzdem hat Dolly einen Klon-Boom ausgelöst: Pferde, Ziegen und Schweine wurden seitdem ebenso kopiert wie Mäuse, Katzen, Hunde und Rinder. Oft handelt es sich dabei um gentechnisch modifizierte Tiere, die etwa schneller wachsen, resistent gegen Krankheitserreger sind oder laktosefreie Milch liefern sollen.

Die US-Firma GTC Biotherapeutics hat das Erbgut einer Ziege sogar so umprogrammiert, dass sie mit ihrer Milch ein Antithrombosemittel produziert. Und argentinische Wissenschaftler haben einem geklonten Kuhkalb zwei menschliche Gene eingefügt, dank derer seine Milch der menschlichen Muttermilch ähnelt. Sollen all diese gentechnischen Kunststücke nicht bei der normalen Fortpflanzung verloren gehen, müssen die Tiere geklont werden.

Aber noch immer ist die Methode aufwendig. Besser wäre es, ausgewachsene Zellen direkt, also ohne Umweg über Eizelle und Nuclear Transfer, in embryonale Zellen zurückzuverwandeln. Als Erstem glückte dies dem Japaner Shinya Yamanaka, der dafür 2012 den Nobelpreis erhielt. Indem er einige Gene in die Zellen einschleuste, setzte er Hautzellen von Mäusen zurück in den Embryonenstatus. Er nannte sie „induzierte pluripotente Stammzellen“ (iPS). Mittlerweile lassen sich iPS ganz ohne gentechnische Eingriffe erzeugen – allein durch die Zugabe von Proteinen. Diese Methode ist nicht nur einfacher und sicherer als alle bisher bekannten Verfahren. Sie ist auch, sagt Forscher Wilmut, „hundertmal interessanter“ als die Klontechnik, mit der er Dolly schuf.

Und auch der Mensch lässt mittlerweile – wie von Kritikern schon zu Dollys Zeiten befürchtet – duplizieren. Dies gelang Forschern der Oregon Health & Science University im Jahr 2013. Ausgangspunkt waren Hautzellen von Kindern. Die Kerne dieser Zellen wurden in Spender-Eizellen verpflanzt, die sich in Kulturschalen zu lebensfähigen, genetisch identischen Embryonen entwickelten. Nach sieben Tagen brachen die Forscher das Experiment ab, denn es ging ihnen nicht um Menschenklone, sondern um menschliches Gewebe, das kranken Patienten helfen sollte. Aber die Tür für weitergehende Versuche ist zweifellos aufgestoßen. JOSEPH SCHEPPACH