MIT Technology Review 6/2016
S. 82
Meinung
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Tomate®

Patente auf Obst und Gemüse? Aktuelle Proteste gegen ein Tomaten-Schutzrecht zeigen, wie dringend die Regeln reformiert werden müssen.

Verbirgt sich hinter dem Patent mit der Nummer EP1515600 wirklich eine Weltneuheit? Der Schweizer Agrarkonzern Syngenta will eine Tomate mit besonders hohem Flavonolgehalt geschaffen haben: einem gesundheitsfördernden Inhaltsstoff, der vor Krebs schützen soll. Klingt gut. Im August 2015 hat das Europäische Patentamt (EPA) dem Unternehmen dafür ein Schutzrecht erteilt.

Nur darf man daran zweifeln, ob in der neuen Tomate wirklich viel Erfindergeist steckt: Syngenta hat wilde Tomaten, wie sie in Peru wachsen, mit gezüchteten Sorten gekreuzt und sich das Ergebnis sichern lassen. Ausgetüftelte Gentechnik steckt nicht darin. Herkömmliche Züchter arbeiten nicht viel anders. Die Patentrechte sind jedoch weitgehender als die Schutzrechte, die Züchter sonst für ihre Kreationen beanspruchen können. Patentinhaber können hohe Lizenzgebühren für Saatgut verlangen, und Weiterzüchtungen mit patentierten Pflanzen sind extrem eingeschränkt. Wer somit eine Tomate beim Patentamt hat eintragen lassen, besitzt damit mitunter ein weitreichendes Monopol.

Kein Wunder, dass der Widerstand gegen solche Schutzrechte auf Leben – sogenannte Biopatente – wächst. Gegen die Syngenta-Tomate haben jetzt mehr als 65000 Menschen auf der Plattform Campact unterschrieben und im Mai Einspruch beim Europäischen Patentamt mit Sitz in München eingelegt. Dem Protestforum zufolge ist es der größte Masseneinspruch, den es je gegen Biopatente gab. Nun muss die Behörde den Fall prüfen.

Erst im Januar hatte das Patentamt nach Bürgerprotesten ein Melonenpatent der Firma Monsanto wieder aufgehoben. Darin hatte der US-Konzern eine Melone als Erfindung präsentiert, die über einen natürlichen, ohne Gentechnik erzielten Schutz gegen Krankheiten verfügt. Diese Resistenz war in indischen Melonen entdeckt worden.

Erstaunlich ist, dass das EPA trotzdem immer wieder fragwürdige Schutzrechte erteilt. Denn an sich sind Lizenzen auf Leben nahezu unmöglich: Das Europäische Patentübereinkommen schließt „Pflanzensorten oder Tierrassen sowie im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren“ ausdrücklich von der Patentierung aus.

Nur umschifft das Europäische Patentamt dieses Verbot geschickt und verkehrt somit die Regeln ins Gegenteil. Auf einer Konferenz demonstrierte Siobhán Yeats, die damalige Biotech-Direktorin der Behörde, dies vor einigen Jahren eindrücklich am Beispiel einer Apfelsorte: Wenn sich der Boskop mit dem höheren Vitamingehalt nicht schützen lasse, formuliere man den Antrag so, dass er für sämtliche Pflanzen mit dem Zusatzgen gelte. Eine widersinnige Praxis. Je weitreichender die Ansprüche gefasst werden, desto erfolgreicher sind die Anträge, bemängelt etwa das internationale Bündnis „Kein Patent auf Saatgut“, das weltweit von mehr als 300 NGOs und bäuerlichen Organisationen unterstützt wird. „Man kann sagen, dass die Erteilung derartiger Patente nichts anderes als ein gezielter Betrug ist, der mit Unterstützung des Patentamts und dessen offensichtlicher Billigung durchgeführt wird“, so die Organisation.

Hinzu kommt, dass die Regelung im Patentgesetz keineswegs so klar ist, wie sie scheint. Wo genau beispielsweise verläuft die Grenze zwischen einem nicht patentierbaren biologischen und einem patentierbaren technischen Zuchtverfahren? Bei transgenen Pflanzen aus dem Labor mag der Fall eindeutig sein. Aber sollen durch gewöhnliche Kreuzung entwickelte Pflanzen patentierbar sein, nur weil man die geeigneten Gewächse für die Züchtung auf der Basis einer Genanalyse ausgewählt hat? Was verhindert, dass Unternehmen die Technik nicht zum Vorwand nehmen, um sich zu sichern, was eigentlich Allgemeingut sein sollte?

Das Patentamt kann die Rolle als Anwalt fürs Gemeinwohl schon deshalb nicht übernehmen, weil es sich unter anderem aus der Erteilung von Patenten finanziert. Selbst wo das Amt Klarheit schaffen wollte, erreichte es zudem das Gegenteil: So unterstrich es zwar in einer Grundsatzentscheidung im März 2015, dass konventionelle Züchtungsmethoden nicht patentierbar sind – die daraus resultierenden Pflanzen seien es allerdings schon. Die Absurdität der Lage nutzt vor allem denen, die sich findige Patentanwälte leisten können – also den großen Konzernen. Dabei teilen ohnehin schon einige wenige Unternehmen den Saatgutmarkt unter sich auf, wie eine Studie der EU-Kommission aus dem Jahr 2013 zeigt.

Die Regeln für die Vergabe von Biopatenten – also Patenten im biotechnologischen Bereich – müssen daher klarer und vor allem restriktiver gefasst werden. Das forderte vor vier Jahren auch schon das Europäische Parlament. Im vergangenen Sommer mahnte dies der Bundesrat erneut an. Auch im Koalitionsvertrag von Union und SPD findet sich die Forderung: Die 65000 Gegner des Tomatenpatents zeigen, dass der Schritt Not tut.