MIT Technology Review 6/2016
S. 3
Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

Diese Ausgabe war ehrlich gesagt nie als eine für die fundamentalen Fragen geplant. Aber genau das ist sie geworden. Wer sich das Thema „Was ist Leben?“ aussucht, scheint in eine Art Sog zu geraten. In unserer Titelgeschichte ab Seite 26 schreibt Birgit Herden über eine neue Theorie des Lebens. Forscher glauben, dass Organismen einen Weg gefunden haben, die wundersamen Eigenschaften der Quanten für ihre Zwecke einzuspannen – etwa die Fähigkeit, an mehreren Orten gleichzeitig zu sein. Darin könnte die Erklärung sowohl für die erstaunliche Effizienz des Stoffwechsels liegen als auch die herausragenden Leistungen des menschlichen Geistes. Lebewesen wären natürliche Quantencomputer.

Wenn wir jedoch natürliche Quantencomputer sind, stellt sich sofort die nächste Frage: Wohin führt die Entwicklung künstlicher Quantenrechner? Zu Maschinen mit Bewusstsein? Unter anderem darüber haben wir mit Hartmut Neven gesprochen, dem deutschstämmigen Leiter von Googles „Quantum Artificial Intelligence Lab“. Seine Antwort wird viele irritieren: „Ich kann mir gut vorstellen, dass auf der Ebene einzelner Neuronen im Gehirn etwas Ähnliches passiert wie in den Quantenschaltkreisen, an denen wir arbeiten.“ Das Interview lesen Sie ab Seite 56.

Ich gebe gerne zu, dass beides noch gewagt klingt. Aber erstens ist dies bei großen neuen Theorien immer der Fall. Und zweitens könnten sie sich erstaunlich rasch als wahr erweisen. Wer hätte noch vor wenigen Jahren gedacht, dass Menschen eines Tages in der Lage wären, die Evolution zu steuern? Dass sie nicht bloß ein paar Pflanzensorten genetisch verändern, sondern das Erbgut ganzer Populationen umschreiben können? Mit einer neuen Technologie namens Gene Drive ist genau dies möglich. Forscher wollen damit Malariamücken genetisch so stark schädigen, dass ihre Art ausstirbt und die Krankheit verschwindet. Aber darf die Menschheit das? In unserem Fokus „Gentechnik“ ab Seite 66 lesen Sie die Antwort.

Ich begrüße Sie in unserer Juni-Ausgabe.

Ihr

Robert Thielicke

Unterschrift