MIT Technology Review 8/2016
S. 96
Fundamente
Jubiläum

Zeit, dass sich was dreht

Oskar von Miller schuf vor 125 Jahren die Grundlage für unser Stromnetz.

Am 25. August 1891 erwartete die Besucher der Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung in Frankfurt eine Weltsensation: Eine 100-PS-Pumpe erzeugte einen zehn Meter hohen künstlichen Wasserfall – mit Strom aus 178 Kilometern Entfernung. Nie zuvor wurde Strom über eine solch lange Strecke übertragen. Die Vorführung entschied den jahrelangen „Stromkrieg“ zwischen Thomas Alva Edison und George Westinghouse.

Dieser Drehstromgenerator in Lauffen trieb 1891 eine fast 180 Kilometer entfernte Pumpe an. Foto: Deutsches Museum

Edison hatte die Glühbirne zum Massenprodukt gemacht und träumte nun davon, die ganze Welt zu erleuchten – und zwar durch Gleichstrom mit einer relativ niedrigen Spannung von 110 Volt, um die empfindlichen Kohlefäden seiner Lampen zu schonen. Je niedriger die Spannung, desto höher sind allerdings auch die Verluste bei der Stromübertragung. Edisons Pläne sahen daher ein dichtes Netz kleiner Kohlekraftwerke vor, nur wenige Kilometer von den Verbrauchern entfernt.

Westinghouse hingegen setzte auf Wechselstrom. Unterstützt wurde er dabei von Nikola Tesla, der früher für Edison gearbeitet und ihn im Streit verlassen hatte. Wechselstrom lässt sich per Transformator einfach auf die gewünschte Spannung bringen.

Der entscheidende Impuls kam aus Frankfurt. Dort berieten die Stadtverordneten 1890, ob sie auf Gleich- oder Wechselstrom setzen sollten. Nachdem sich eine Expertenkommission nicht einigen konnte, sollten auf der Elektrotechnischen Ausstellung die führenden Firmen zeigen, was sie konnten.

Leiter der Ausstellung wurde der Münchner Ingenieur Oskar von Miller (siehe TR 4/2011, S. 92). Ihm war es bereits 1882 gelungen, Gleichstrom mit 2000 Volt knapp 60 Kilometer von Miesbach nach München zu übertragen. Durch den Spannungsabfall gingen dabei allerdings 77 Prozent der eingespeisten Leistung verloren.

In Frankfurt wollte es der spätere Gründer des Deutschen Museums besser machen – und zwar mit Wechselstrom aus drei gegeneinander verschobenen Phasen („Drehstrom“). Entwickelt hatte das Verfahren der russische Migrant Michail von Dolivo-Dobrowolsky. Bei der AEG hatte er zudem einen Trafo und einen Asynchronmotor für Drehstrom entwickelt. Unabhängig davon hatte Tesla auf der anderen Seite des Atlantiks einen Motor für zweiphasigen Wechselstrom gebaut. Beide behoben ein entscheidendes Manko: Es gab bis dato keine Wechselstrommotoren, die ähnlich effizient waren wie die damaligen Gleichstromantriebe.

Die Übertragung von Drehstrom über weite Strecken war 1890 allerdings noch Neuland. Doch der tatkräftige Miller ließ sich davon nicht beirren. Unter seiner Leitung entstand aus 60 Tonnen Kupfer und 3200 Masten eine Freileitung. Von der Wasserturbine eines Zementwerks in Lauffen am Neckar floss die Energie mit 25000 Volt durch vier Länder – Württemberg, Baden, Hessen und Preußen. Am Ausstellungsgelände kamen immerhin drei Viertel des eingespeisten Stroms an. Bezogen auf Leistung und Entfernung war der Wirkungsgrad damit rund tausendmal so hoch wie bei der Übertragung aus Miesbach.

Das machte sich George Westinghouse zunutze. Am 25. August 1895 ging sein Wasserkraftwerk an den Niagarafällen ans Netz. Die 2000 Volt Wechselspannung der Generatoren wurden für den Anschluss weiter entfernter Orte auf 20000 Volt transformiert. Das bedeutete endgültig den Sieg im Stromkrieg. Bis heute arbeiten praktisch alle Hochspannungsleitungen weltweit nach dem Prinzip, das Oskar von Miller vor 125 Jahren vorgeführt hat.

Doch auch der Gleichstrom steht vor einer Renaissance: Es braucht zwar gewaltige Konverterstationen, um ihn auf hohe Spannungen zu bringen – doch für Strecken von Hunderten oder gar Tausenden Kilometern ist seine Übertragung effizienter als die von Drehstrom. JOSEPH SCHEPPACH