MIT Technology Review 8/2016
S. 87
Meinung

BILDUNG

So sehen junge Werbefiguren aus

„So sehen Sieger aus“, titelte der Online-Versandhändler Amazon auf seinem Weblog im April dieses Jahres. Zu sehen waren Viertklässler einer Grundschule aus Nordrhein-Westfalen, die in den Hallen der Firma stolz ihre E-Book-Reader Amazon Kindle Paperwhite in die Kamera hielten. Sie haben bei dem vom Unternehmen ausgeschriebenen Wettbewerb „Kindle Storyteller Kids“ mit ihrer selbstverfassten Geschichte gewonnen. Die Preise: 30 E-Book-Reader, ein Amazon-Gutschein für den Download von E-Books im Wert von 1750 Euro und eine Führung durch ein Amazon-Logistikzentrum.

Die Schüler freuten sich, das Kultusministerium weniger. Die Schule sei kein Ort für die Produktwelt des Onlinehändlers, befand es und hat ihren Schulen die Teilnahme an dem Wettbewerb untersagt – und das mit Recht. Durch die Preise des Wettbewerbs werden die Viertklässler unfreiwillig zu jungen Werbefiguren der Firma, ausgestattet mit dem Equipment für eine längere Bindung.

Sicher, die Schule ist keine firmenfreie Filterbubble. Bücher kommen etwa von Cornelsen oder Klett, die Taschenrechner von Texas Instruments oder Casio. Die Entscheidung, welches Produkt im Unterricht verwendet wird, wird hier aber nach fachlichen Kriterien gefällt. Der Maßstab ist das Erreichen der Lernziele. Der Auftrag „Heute schreiben wir mal eine schöne Geschichte für Amazon“ sollte fernab dieser Richtlinie liegen. Wenn Schreib- und Lesefähigkeit durch einen Firmenwettbewerb gefördert werden sollen, lassen sich Schulen das pädagogische Blatt aus der Hand nehmen.