MIT Technology Review 1/2017
S. 74
Fokus
Künstliche Intelligenz
Aufmacherbild
Illustration: Mathis Rekowski

Der künstliche Gelehrte

Einer künstlichen Intelligenz das gesamte Weltwissen per Hand einprogrammieren zu wollen, klingt wahnwitzig. Doch nach mehr als 30 Jahren Arbeit ist mit Cyc ein solches Projekt jetzt marktreif.

Vor 31 Jahren nahm sich Doug Lenat nicht weniger vor, als einem Computer zu erklären, wie die Welt funktioniert. Dazu gab er 1984 sogar seinen Posten als Professor in Stanford auf. Denn es braucht Zeit, um einen Computer mit dieser Unmenge an Wissen zu füttern. Und vieles taucht in keiner Enzyklopädie auf, weil es für Menschen selbstverständlich ist. Lenat musste dem Computer beispielsweise beibringen, dass ein Apfel nach unten fällt, wenn man ihn loslässt; dass ein Apfel nicht größer ist als ein Mensch; und dass kein Mensch einen Apfel in den Weltraum werfen kann. Nach und nach schuf Lenat eine Datenbank mit Tausenden von semantischen Informationen, eine sogenannte Ontologie, und die Software, die sie zu nutzen versteht. Nun ist das Projekt Cyc – vom englischen „encyclopedia“ – abgeschlossen. Es sei zwar nicht so, „dass nichts mehr zu tun wäre“, sagt Lenat. Aber das meiste, was noch hinzugefügt werden müsse, betreffe nur spezielle Themen wie Finanzen oder Krebsforschung.

Auf den ersten Blick wirkt Cyc wie ein Anachronismus, wie eine künstliche Intelligenz, die von der Evolution an den Rand gedrängt wurde. Harte Regeln und Fakten gelten mittlerweile als ziemlich altmodischer Ansatz. Dank kluger Algorithmen, leistungsfähiger Hardware und vieler Trainingsdaten haben Deep Learning und neuronale Netze in den letzten Jahren das Feld dominiert. Seit 2012 gab es Riesenfortschritte bei den Maschinen in der Bild- und Spracherkennung und im Verstehen (siehe Seite 68). „Neuronale Netze versuchen, die Welt mit Beispielen abzubilden. Die traditionelle Schule dagegen wollte alles mit festen Regeln und Ontologien definieren. Aber die Welt ändert sich, sodass dieser Ansatz nicht immer funktioniert“, sagt Damian Borth, Direktor des Kompetenzzentrums für Deep Learning im Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI). Der neue Ansatz befähige KI-Systeme dagegen, durch Erfahrung zu lernen und mit einer komplexen Welt umzugehen, zum Beispiel beim autonomen Fahren.