MIT Technology Review 1/2017
S. 95
Fundamente
Rückschau

Bejubelt und abgeschaltet

An dieser Stelle blicken wir zurück aufArtikel, die vor fünf Jahren in Technology Review erschienen sind. Diesmal: Gaskraftwerke

technology review 1/2012 Der Boom für Gaskraftwerke kam nicht – im Gegenteil.

Ein Drittel der Kraftwerkskapazität muss demnächst ersetzt werden“, schrieb TR im Januar 2012. „Vor allem Gaskraftwerke sollen die Lücke füllen und im Zusammenspiel mit erneuerbaren Energien die Stromversorgung sichern.“

Trotzdem sank der Anteil von Erdgas am deutschen Strommix seitdem von 14 auf 9,4 Prozent. Selbst das wegen seiner Rekordeffizienz gefeierte Gas-und-Dampfkraftwerk (GuD) Irsching 4 wurde mittlerweile wieder abgeschaltet – aus wirtschaftlichen Gründen: Laut KfW-Bank sind die Stromgestehungskosten für GuD-Anlagen mit 7,5 bis 9,8 Cent pro Kilowattstunde immer noch teurer als für Steinkohle (6,3 bis 8,0 Cent) und für Braunkohle (3,8 bis 5,3 Cent). Zudem konnten Gaskraftwerke ihren Strom früher gezielt in der Mittagszeit verkaufen, wenn der Bedarf am höchsten war. Doch genau dann speisen heute auch die vielen Solaranlagen am stärksten ein und verderben die Preise.

Dies führt zu einer paradoxen Situation: Ausgleichsenergie wird zwar weiterhin benötigt, aber für sie existiert kein ausreichender wirtschaftlicher Anreiz. Zunächst löste das Bundeswirtschaftsministerium das Problem recht hemdsärmelig: Es verbot Betreibern einfach, Anlagen vom Netz zu nehmen, wenn es die Versorgungssicherheit gefährden könnte. Davon sind laut Bundesnetzagentur derzeit Gaskraftwerke mit einer Leistung von knapp 3000 Megawatt sowie Steinkohlemeiler mit knapp 500 Megawatt betroffen.

Mit dem im Juli 2016 beschlossenen Strommarktgesetz will die Bundesregierung nun eine „Kapazitätsreserve“ von 2000 Megawatt ausschreiben – für den Fall, dass auf dem freien Markt kein ausreichendes Angebot entsteht. Da die Kraftwerke meist stillstehen und nur im Notfall einspringen sollen, lohnen sich in diesem Fall vor allem günstig zu bauende Anlagen mit einfacher Gasturbine. Für die aufwendigeren, aber eben auch effizienteren Kraftwerke mit zusätzlicher Dampfturbine werden die Zeiten nicht leichter. Sie haben unter derzeitigen Bedingungen nur eine Chance, wenn sie auch Fernwärme produzieren – so wie die beiden hochmodernen GuD-Anlagen, die 2016 in Köln und Düsseldorf ans Netz gingen. GREGOR HONSEL