MIT Technology Review 12/2017
S. 104
Meinung
Bücher

Alles wird gut

Die Digitalisierung wird die Wirtschaft auf den Kopf stellen. Aber die Ökonomen McAfee und Brynjolfsson erklären, wie man den Sturm reiten kann.

Andrew McAfee, Erik Brynjolfsson: „Machine, Platform, Crowd, Harnessing our Digital Future“ W. W. Norton & Company, 408 Seiten, 20,99 Euro (E-Book 15,99 Euro)

Seit ihrem Buch „The Second Machine Age“ gelten die MIT-Ökonomen Andrew McAfee und Erik Brynjolfsson als Hightech-Kassandras. Denn auf der Basis aktueller technischer Entwicklungen hatten die beiden 2014 nicht nur vorhergesagt, dass die nächste große Welle der Automatisierung unweigerlich anrollt. Sie hatten auch prognostiziert, dass bisher als sicher geltende Jobs der „Wissensarbeit“ im mittleren Management, in der Logistik, im Einkauf oder Kundenservice mit hoher Wahrscheinlichkeit automatisiert werden.

In ihrem neuesten Buch „Machine, Platform, Crowd“ bemühen sich die Autoren um ein deutlich optimistischeres Bild. Denn sie analysieren nun, welche Chancen sich aus drei großen Trends ergeben: der rasanten Ausbreitung lernender Software, dem kometenhafte Aufstieg von Plattformen wie Uber oder AirBnB und der globalen Verfügbarkeit von Arbeitskraft und Expertise in der Crowd. Natürlich sind diese Trends nicht neu. Mit zahlreichen Beispielen unterlegt, diskutieren McAfee und Brynjolfsson jedoch den jeweiligen Stand der Technik bei KI-Software oder der Blockchain-Technologie und die ökonomischen Mechanismen, die Plattformen so erfolgreich machen.

Dabei verblüffen die Autoren gelegentlich mit intelligenten Provokationen. So plädieren sie beispielsweise dafür, viele der Beurteilungen, Entscheidungen und Vorhersagen, die jetzt in den Händen von menschlichen Experten liegen, lieber den Maschinen zu übergeben. Das alles ist hoch spannend und liest sich kein bisschen trocken. Die Schwäche des Buches ist allerdings seine eingeschränkte Perspektive: Crowdworking sehen die Autoren beispielsweise nur aus dem Blickwinkel von Unternehmen, die schnell und billig an kompetente Experten kommen. Die Schattenseiten diese Modells – sowohl für das Unternehmen als auch politisch und volkswirtschaftlich – blenden sie komplett aus.

Erst im allerletzten Kapitel diskutieren McAfee und Brynjolfsson mögliche Probleme wie die Tatsache, dass in den meisten entwickelten Ländern der Anteil der Löhne am Bruttosozialprodukt gesunken ist, oder erwähnen eine aktuelle Studie von McKinsey, nach der „beinahe die Hälfte aller Arbeitstätigkeiten weltweit automatisiert werden könnten“.

Letztendlich aber überwiegt bei McAfee und Brynjolfsson dieses Mal der Optimismus, denn: „Zu entscheiden, wie eine Gesellschaft Technologie einsetzen will, ist nicht nur, nicht einmal hauptsächlich der Job von Regierungen“, schreiben sie. „Das muss aus allen Teilen der Gesellschaft kommen: von Unternehmens, Managern, aber auch aus der individuellen Entscheidung von Millionen von Individuen. Die nächsten paar Jahrzehnte können und sollten besser werden als alles, was die Menschheit je erlebt hat. Das ist keine Vorhersage; es ist eine Möglichkeit, ein Ziel.“ Bleibt zu hoffen, dass sie recht behalten. Wolfgang STIELER

SCIENCE-FICTION

Ideenreich und stereotyp

Als Thriller ist das neue Werk von Daniel Suarez („Kill Decision“) allenfalls Mittelmaß: einsamer Held auf der Flucht, finstere Gangster im Hintergrund, Verfolgungsjagden, Versteckspiele und Schießereien – das Übliche. Weitaus interessanter hingegen ist die Welt, die Suarez entwirft. Hier ist er wie üblich auf Augenhöhe mit der technischen Entwicklung. Gentechnik hat die Herrschaft übernommen: Dinge werden nicht mehr hergestellt, sondern genetisch designt und wachsen dann von allein in die richtige Form; hochgerüstete Banden scheffeln Geld mit illegalen Gen-Edits an Embryonen und Erwachsenen. Die Fülle solcher Ideen macht es erträglich, dass die Handlung aus stereotypen Thriller-Versatzstücken zusammengestoppelt ist. Das Buch erscheint am 17. November. GREGOR HONSEL

Daniel Suarez: „Bios“. Rororo, 544 Seiten, 12,99 Euro (E-Book: 10,99 Euro)

HISTORIE

Treffpunkt für die Wissenschaft

Ein Porträt über ein schlichtes Gebäude mag langweilig klingen. Doch Michael Kröher zeigt, dass es auch anders geht. Mit dem 1929 gegründeten Harnack-Haus in Berlin-Dahlem widmet er sich einem renommierten Objekt. Als Tagungs- und Begegnungsstätte lockte es in seinen 16 Bestandsjahren nicht nur zahlreiche Nobelpreisträger wie Otto Hahn, Albert Einstein und Max Planck in den Berliner Villenvorort. Das Harnack-Haus ist als Kulisse besonders vor dem Hintergrund des aufkommenden NS-Regimes interessant. Zwar verliert sich Kröher stellenweise allzu detailreich in der Architektur des Hauses, doch in der gut recherchierten Einordnung der Wissenschaftler-Biografien kommen seine Stärken zur Geltung. Jennifer Lepies

Michael Kröher: „Der Club der Nobelpreisträger“, Knaus, 320 S., 20 Euro (E-Book: 16,99 Euro)

Klassiker neu gelesen

Libertärer Steam Punk

Ayn Rand: „Atlas Shrugged“. Centennial, 1200 Seiten, 36,99 Euro (E-Book: 6,49 Euro); deutsch: „Der Streik“, Kai M. John, 39,90 Euro

Obwohl in Europa kaum bekannt, zählt Ayn Rand zu den polarisierendsten Autorinnen des 20. Jahrhunderts. Bei einer Umfrage in den USA kam ihr Hauptwerk „Atlas Shrugged“ auf Platz zwei der Bücher, die das Leben ihrer Leser am stärksten verändert haben direkt hinter der Bibel. Vor 60 Jahren, im Oktober 1957, ist es veröffentlicht worden – und verkauft sich besser denn je.

Ayn Rand kam 1905 als Alissa Sinowjewna Rosenbaum in St. Petersburg zur Welt. Ihre Eltern wurden nach der Oktoberrevolution von den Bolschewiken enteignet. 1926 wanderte sie in die USA aus. Ihre Erfahrungen mit dem Kommunismus verarbeitete sie in literarischen und philosophischen Texten. Wer das Denken des libertären Amerikas verstehen will, müsse Ayn Rand lesen, heißt es oft. Was also hat uns „Atlas Shrugged“ (deutsch: „Der Streik“) heute noch zu sagen?

Was als Erstes auffällt: Das 1200-Seiten-Werk ist eher in einer alternativen Vergangenheit als in der Zukunft angesiedelt, in einer dystopischen Gründerzeit voller Eisenbahnen, Hochöfen, Bergwerke und Raffinerien. Die USA wurden von einer verfilzten, gleichmachenden Politik heruntergewirtschaftet. Rohstoffe und Fachkräfte sind kaum aufzutreiben, ständig entgleisen Dampfloks. Eine Art Steam Punk, der schon zur Zeit der Veröffentlichung leicht anachronistisch gewirkt haben musste.

Ähnlich anachronistisch ist auch die Wirtschaftsordnung: Heroische Firmenlenker kämpfen einsam gegen die Gleichgültigkeit der Masse – allen voran Dagny Taggart, die junge Erbin eines Eisenbahnimperiums. Doch nach und nach verschwinden alle ihre Mitstreiter auf mysteriöse Weise: Die Stützen der Gesellschaft treten in Streik und stürzen das Land ins Chaos.

Im Grunde gibt es im Roman nur zwei Sorten von Menschen: die visionären, rationalen und von einem gesunden Eigeninteresse getriebenen Großindustriellen und den dumpfen Rest. Die vornehmste Aufgabe des Staates besteht für Rand darin, diesen Antreibern nicht im Weg zu stehen. Um ihre Leser davon zu überzeugen, nutzt sie vor allem ein Stilmittel: die Karikatur. Die Gegenspieler sind allesamt jämmerliche Gestalten, entscheidungsschwach, verantwortungsscheu, schicksalsergeben, intrigant und feige.

Damit macht es sich Ayn Rand ziemlich einfach: Statt sich mit den realen Argumenten realer Gegner auseinanderzusetzen, modelliert sie diese in der Fiktion zu solchen Weicheiern, dass sie sich ohne großen argumentativen Aufwand in Grund und Boden schreiben lassen.

Literarisch kickt sie damit zwar höchstens in der Kreisklasse. Aber aus diesem Stilmittel bezieht der Roman auch seine polemische Wucht und seine Anhängerschaft. Der ehemalige US-Zentralbankvorsitzende Alan Greenspan soll über Ayn Rand gesagt haben: „Ich verdanke ihr die Einsicht, dass der Kapitalismus nicht nur effizient und praktisch ist, sondern auch moralisch.“ Science-Fiction-Autor William Gibson hingegen hält Ayn Rands Einfluss für einen „der schlimmsten in der gesamten Menschheitsgeschichte“. GREGOR HONSEL