Technology Review Special 2017
S. 48
Verkehr

NACHRUF

Citroëns hydropneumatische Federung: Ausgeschwebt oder das Ende der Extravaganz

Am Abend des 22. August 1962 lauerten zwölf schwer bewaffnete Terroristen dem französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle auf. Im Kugelhagel starben zwei Leibwächter auf Motorrädern, mehrere Reifen an de Gaulles Auto wurden zerschossen. Der schwarze Citroën DS 19 geriet ins Schleudern, doch Chauffeur Francis Marroux bekam ihn wieder in den Griff und brachte die Insassen in Sicherheit. Was ihnen das Leben rettete, war nicht allein das fahrerische Können Marroux’, der zuvor schon zwei weitere Attentate miterlebt hatte. Es war auch die Federung des Wagens.

Die „Göttin“ Citroën DS sah nicht nur gut aus, sondern war auch technisch innovativ. Foto: PLawrence99cx/ Wikipedia

Als der Citroën DS („Die Göttliche“) 1955 vorgestellt wurde, wiesen nicht nur die schnörkellosen und aerodynamischen Formen weit in die Zukunft. Auch seine hydropneumatische Federung setzte neue Maßstäbe. Sie kommt völlig ohne Stahlfedern aus. Stattdessen fungieren stickstoffgefüllte Kugeln, etwa so groß wie eine Kokosnuss, gleichzeitig als Federung und Dämpfung. An jeder Radaufhängung sitzt ein Hydraulikzylinder, der beim Einfedern ein spezielles Öl komprimiert, das wiederum die Stickstoffblase zusammendrückt. Bodenfreiheit und Federhärte lassen sich über den Öldruck einstellen. Das sorgt für unerreicht sanftes Fahrgefühl, selbst bei starker Beladung. Zudem kann ein Wagen zur Not auch auf drei Rädern fahren – oder mit zerschossenen Reifen.

Zu erkennen sind Modelle mit Hydropneumatik daran, dass sie sich nach dem Start leicht surrend in die Höhe pumpen. Künftig dürfte dieser Anblick allerdings seltener werden. Citroën hat sich mit dem Auslaufen des C5 im Mai 2017 von der hydropneumatischen Federung verabschiedet – nach 60 Jahren.

Damit verschwindet eines der letzten Alleinstellungsmerkmale der Marke, die 1976 mit Peugeot zum PSA-Konzern fusionierte. Zuvor wurden bereits Lupentacho, Einspeichenlenkrad, avantgardistisches Design und andere Eigenheiten auf dem Altar der Plattformstrategie geopfert. Eine gewisse Rest-Exklusivität soll nun eine Art Hydropneumatik light bieten: Stahlfedern in Kombination mit hydraulischen Anschlägen.

Mit dem Ende der Kugelfedern ist die Autowelt wieder ein Stück gleichförmiger geworden. In der Autoindustrie übernehmen endgültig die Baukastensysteme. Wer das bedauert, sollte sich allein deshalb auf Elektroautos freuen, denn die könnten eine neue Ära der Individualität einläuten: Die Fahrzeuge brauchen weder einen großen Verbrennungsmotor noch Getriebe, Auspuff oder Kühlergrill. Das bringt mehr Freiheit beim Design. Das Tesla Model S etwa nutzt den frei gewordenen Platz für einen vorderen Kofferraum und eine dritte Sitzreihe.

Noch sind die Ideen zurückhaltend. Aber das könnte sich ändern, denn zum einen kündigen sich neue Hersteller mit völlig anderen Konzepten an, unter ihnen beispielsweise der Hausgerätehersteller Dyson oder das Start-up Zoox. Zum anderen dürften neue Konzepte für Autohersteller immer wichtiger werden, um sich von ihren Wettbewerbern zu differenzieren. Denn die elektrischen Antriebe selbst kommen in absehbarer Zeit vor allem von einer Handvoll Zulieferer. GREGOR HONSEL