Technology Review Special 2017
S. 59
Architektur

Tunnel für Rekord-Blitze

Der stärkste Röntgenlaser der Welt filmt extrem schnelle chemische Reaktionen. Forscher aus aller Welt erhoffen sich davon neue Erkenntnisse.

Seit diesem Jahr hat Hamburg zwei neue Vorzeigebauten – und die Elbphilharmonie ist die billigere der beiden. Im September ging der unterirdische Röntgenlaser XFEL in Betrieb, mit Baukosten von 1,22 Milliarden Euro gut eineinhalb Mal so teuer wie die Konzerthalle. Elf Länder waren an der Finanzierung beteiligt, vor allem Deutschland (58 Prozent Anteil) und Russland (27 Prozent).

In einer 3,4 Kilometer langen Röhre kann der XFEL die stärksten und kürzesten Röntgenblitze der Welt erzeugen. Sie dauern weniger als 100 Femtosekunden, also 0,0000000000001 Sekunden. In dieser Zeit durchquert Licht gerade einmal ein menschliches Haar.

Ein Techniker verbindet die gelben Segmente der Beschleuniger-Röhre in einer Vakuumkammer miteinander. Foto: European XFEL

63 internationale Forschungsgruppen hatten sich um „Strahlzeit“ beworben. Den Zuschlag bekamen 14 Teams mit jeweils bis zu 80 Forscherinnen und Forschern. Von September 2017 bis März 2018 bekommen sie nun an fünf Tagen je zwölf Stunden Zeit für ihre Experimente – tagsüber und nachts. Ihnen stehen derzeit zwei Instrumente zur Verfügung, die abwechselnd betrieben werden: das „Femtosecond X-Ray Experiment“ (FXE) und die „Single Particles, Clusters, and Biomolecules/Serial Femtosecond Crystallography“ (SPB/SFX). Herz der beiden Instrumente ist eine Optik, die den Röntgenstrahl fokussiert.

FXE ist darauf ausgelegt, extrem schnelle Prozesse zu filmen, etwa den Ablauf chemischer Reaktionen bis hin zu einzelnen Elektronenbewegungen. Davon erhoffen sich die Forscher genauere Erkenntnisse über Katalysatoren oder die Photosynthese. Die aktuellen Experimente beschäftigen sich unter anderem mit der Funktion organischer Leuchtdioden oder der Rekombination von Stickstoff und Sauerstoff im Myoglobin. Dieses Muskelprotein dient Molekularbiologen schon länger als Arbeitspferd, um mehr über das Verhältnis von Struktur und Funktion von Proteinen herauszufinden.

Mit SPB/SFX lässt sich die Struktur von Biomolekülen oder biologischen Partikeln untersuchen. Anders als bei anderen Untersuchungsmethoden müssen die Proben beim Röntgenlaser nicht gekühlt werden und können dadurch in einer nahezu natürlichen Umgebung beobachtet werden. Die ersten Experimente dienen unter anderem dazu, neue Forschungsmethoden zu entwickeln und den Verbrauch kostbarer Bio-Proben zu minimieren. Andere Versuche erforschen biologische Strukturen wie das Melbourne-Virus oder Prozesse wie die Wasserspaltung während der Photosynthese. Diese Grundlagenforschung könnte langfristig zum Beispiel zu einer effizienteren künstlichen Photosynthese führen.

Derzeit sind vier weitere Instrumente im Bau. Sie sollen im Laufe des kommenden Jahres ihren Betrieb aufnehmen. Eines von ihnen simuliert etwa die Zustände im Inneren eines Planeten, wozu extrem starke Strahlen und entsprechend dicke Abschirmungen nötig sind. Ein anderes dient der Untersuchung glasartiger Zustände.

Um den Rekord-Röntgenstrahl zu erzeugen, schlägt ein konventioneller UV-Laser zunächst Elektronen aus einer Cäsiumtellurid-Elektrode heraus. Mikrowellen beschleunigen die Elektronen dann über eine 1,7 Kilometer lange Strecke annähernd auf Lichtgeschwindigkeit. Anschließend zwingen Magnete sie auf eine Slalomstrecke. In jeder Kurve geben die Elektronenpakete dabei einen Teil ihrer Energie in Form von Röntgenstrahlen ab, die sich zu einem laserartigen Blitz mit Wellenlängen von 0,05 bis 4,7 Nanometer verstärken.