Technology Review Special 2017
S. 32
Medizin

NACHRUF

Lennart Nilsson: Porträtist des werdenden Lebens

Jeder hat heute ein Bild vom menschlichen Embryo im Kopf. Lennart Nilson hat es gemacht. Foto: Maja Suslin/ TT News/ Dpa Picture-Alliance

Bis heute prägen seine Fotografien unsere Vorstellung von einem Embryo. Lennart Nilssons Bildband „Ein Kind entsteht“ ist immer noch ein Bestseller. Schon in den fünfziger Jahren begann der Schwede, das werdende Leben zu dokumentieren. Dank neu entwickelter Endoskope und mit Weitwinkel-Speziallinsen gelangen Nilsson atemberaubend schöne Aufnahmen. Seine Bilder zählen längst zu den bekanntesten und prägendsten Fotografien des vorigen Jahrhunderts. In diesem Jahr am 28. Januar starb er im Alter von 94 Jahren.

Als das New Yorker „Life“-Magazin im Jahr 1965 Nilssons Bild von einem 18 Wochen alten Embryo auf seiner Titelseite veröffentlichte, war das schier eine Sensation. Innerhalb weniger Tage war die Heftauflage von acht Millionen Exemplaren mit der Fotostrecke des Schweden ausverkauft. Gut zehn Jahre hatte Nilsson zuvor an den Bildern des ungeborenen Lebens gearbeitet und währenddessen mit den deutschen Firmen Karl Storz und Carl Zeiss die benötigte Technik vorangetrieben. Nun dokumentierten seine Aufnahmen das Reifen des Embryos von der Zeugung bis zur Geburt.

Allerdings fertigte Nilsson nur wenige der damaligen Aufnahmen im Rahmen von Fruchtwasseruntersuchungen an. Ein Großteil der Arbeiten zeigte gestorbene oder dem Tod geweihte Föten, die etwa aus Eileiterschwangerschaften stammten und deshalb nicht ausgetragen werden konnten. Lange Zeit wurde diese Entstehungsgeschichte kaum zur Kenntnis genommen. Und es zeugt durchaus von einer gewissen Ironie, dass Nilssons ästhetisierte, kunstvoll inszenierte und ausgeleuchtete Bilder später von Abtreibungsgegnern für ihre Kampagnen eingesetzt wurden.

Ursprünglich arbeitete der aus der Kleinstadt Strängnäs stammende Nilsson als Reportage- und eine Zeit lang zudem als Hoffotograf für die schwedische Königsfamilie. Sein Hauptinteresse aber galt der Wissenschaft. Später entstanden weitere Bücher wie „Eine Reise in das Innere unseres Körpers“ (1987) und auch Filme. Grundlage waren ähnlich beeindruckende, mit neuester Technik wie dem Rasterelektronenmikroskop aufgenommene Fotografien von Bakterien, weißen Blutzellen, dem Adersystem des Gehirns, Krebs- oder Stammzellen. In seinem Studio hatte Nilsson sogar einen auf Körpertemperatur erwärmten Raum, in dem er lebende Zellen fotografierte. Auch vom Aids-Virus gibt es ein Bild von ihm: Dafür reiste er 1985 nach Paris zu Luc Montagnier, einem der Entdecker des Erregers. „Etwas zu entdecken ist mein Traum“, sagte er 1996 in einem Interview mit dem Sender PBS. Bis ins hohe Alter konnte er ihn leben: Im Team mit Wissenschaftlern porträtierte Nilsson die Geheimnisse des Lebens: das, was dem menschlichen Auge sonst verborgen bleibt. INGE WÜNNENBERG

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Maryam Mirzakhani: Malende Ausnahme-Mathematikerin

Foto: Stanford News Service

Ihre Forschung war überaus theoretisch, doch wer Maryam Mirzakhani bei der Arbeit zusah, konnte einen anderen Eindruck gewinnen – ihre kleine Tochter etwa sagte, die Mutter würde den ganzen Tag malen. Denn tatsächlich zeichnete Mirzakhani gern auf riesigen weißen Blättern auf, mit was sie sich beschäftigte. „Es ist, als wenn man sich im Dschungel verirrt hat und alles Wissen nutzt, das man aufbringen kann, um mit irgendwelchen neuen Tricks herauszufinden“, erklärte sie einmal.

Mit dieser Methode kam die gebürtige Iranerin zu spektakulären Ergebnissen. Schon als Schülerin gewann sie 1994 und 1995 Gold bei der Mathematik-Olympiade. Nach dem Studium im Iran schrieb sie in den USA eine Doktorarbeit, mit der sie in der Fachwelt für Aufsehen sorgte: Im Alter von 27 Jahren löste sie darin gleich zwei lange bestehende Mathematik-Probleme.

Im Jahr 2008 trat Mirzakhani eine Professur an der Stanford University an. Auf ihren großen weißen Bögen beschäftigte sie sich mit Themen, unter denen Laien nur Bahnhof verstehen dürften: Modulräume, Teichmüller-Theorie, hyperbolische Geometrie, Ergodentheorie. Detailliert beschrieb sie die Komplexitäten von gebogenen Oberflächen. Das hat zum einen Bedeutung etwa für die Frage nach der Entstehung des Universums, zum anderen für die Quantenfeldtheorie, die Felder wie die Materialwissenschaft voranbringen könnte.

Schon als Mirzakhani im Jahr 2014 für ihre Beiträge über Geometrie und dynamische Systeme als bislang einzige Frau die angesehene Fields-Medaille verliehen bekam, kämpfte sie gegen den Brustkrebs. Am 14. Juli 2017 ist die Ausnahme-Mathematikerin an dieser Krankheit verstorben. sascha mattke