Technology Review Special 2017
S. 31
Medizin

Das große Sterben

Der Bestand an Insekten ist einer Langzeitstudie zufolge drastisch zurückgegangen. Als wichtigste Ursache sehen Experten die moderne Landwirtschaft.

Um 75 Prozent ist die Masse der fliegenden Insekten in den vergangenen 27 Jahren in einem Teil der deutschen Schutzgebiete zurückgegangen. Diese Nachricht beschäftigte weltweit die Öffentlichkeit, als der Entomologische Verein Krefeld im Oktober die Ergebnisse seiner umfangreichen Studie publizierte. Zwischen 1989 und 2014 hatten Mitglieder in 63 Gebieten in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Brandenburg Fluginsekten in sogenannten Malaise-Fallen gesammelt. Bei der Auswertung ihrer Ergebnisse wurden die ehrenamtlichen Insektenkundler von Wissenschaftlern der britischen University of Sussex und der niederländischen Radboud University unter der Leitung von Hans de Kroon unterstützt.

Ein Großer Kohlweißling sitzt auf einer Distelblüte. Foto: Mike/ Fotolia

Die Studie zog umgehend Kritik auf sich, da nicht an allen Standorten über mehrere Jahre in Folge die Menge der Insekten kontrolliert wurde. Darauf wiesen unter anderem die Landschaftsökologin Alexandra-Maria Klein von der Universität Freiburg und der Statistiker Walter Krämer von der Technischen Universität Dortmund hin. Dessen ungeachtet hält Klein – ähnlich wie andere, nicht an der Studie beteiligte Wissenschaftler – die Ergebnisse für relevant.

Und so rückten die Gründe für den Dezimierung der Insekten in den Fokus. Faktoren wie den Klimawandel oder landschaftliche Veränderungen schließen die Autoren aus. Sie betrachten als Ursache vor allem die „Intensivierung der Landwirtschaft mit dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, der ganzjährigen Bewirtschaftung, dem verstärkten Einsatz von Dünger und den vermehrten landwirtschaftlichen Maßnahmen“. Diese Einschätzung teilt Agrarökologe Teja Tscharntke von der Universität Göttingen: „Die zunehmende Monotonisierung der Agrarlandschaften mit großen Feldern, nur noch wenigen schmalen Feldrändern, kaum Hecken und Gehölzen sowie nur noch vereinzelten Brachen und kaum magerem Grünland führt dazu, dass außerhalb der Schutzgebiete kaum noch Nahrungs- und Nistressourcen zur Verfügung stehen.“

Tierökologe Johannes Steidle von der Universität Hohenheim bringt zudem den Pestizideinsatz ins Spiel: „Es wäre wichtig zu analysieren, welchen Einfluss die sogenannten Neonikotinoide haben.“ Diese Insektizide wirken auf die Nervenzellen der Insekten und lähmen oder töten diese. „Hunderte von wissenschaftlichen Studien zeigen, dass sie genau das tun, wofür sie eingesetzt werden: Sie töten Insekten“, merkt Studienleiter Hans de Kroon an (siehe auch TR 10/2016)

Derzeit steht in der EU die Neubewertung dieser Mittel an. Bereits 2013 wurde der Einsatz von drei Neonikotinoiden – Imidacloprid, Clothianidin und Thiamethoxam – eingeschränkt. Über die Fortsetzung der Regelung sollte Ende des Jahres entschieden werden. Ob am Ende ein generelles Verbot steht, ist keineswegs sicher. Dabei drängt die Zeit, findet jedenfalls de Kroon. „Die Neonikotinoide entweichen in die Landschaft, Spuren finden sich in Pollen und im Honig“, sagt der niederländische Pflanzenökologe. Außerdem hätten Messungen in den Niederlanden gezeigt, dass sie selbst das Oberflächenwasser verunreinigen. Für de Kroon ist es dringend an der Zeit, nach Alternativen zu suchen. „Wir müssen aufhören, den Insekten zu schaden. Das ist die zentrale Botschaft unserer Studie.“