MIT Technology Review 2/2017
S. 96
Fundamente
Jubiläum

Es werde Strom

Vor 150 Jahren erfand Werner von Siemens das dynamoelektrische Prinzip. Die Elektrifizierung der Welt begann.

Herbst 1866: Der Deutsche Bruderkrieg ist beendet. Begeistert über den preußischen Sieg tüftelt der ehemalige Leutnant Werner Siemens an neuer Militärtechnik: Er will den magnetelektrischen Minenzünder verbessern. Die Maschinerie wurde durch einen umständlichen und bisweilen unzuverlässigen Vorgang in Gang gesetzt. Um die Magnete zu erregen, musste erst ein Kurzschluss hergestellt und dann wieder aufgehoben werden. Siemens fand ein eleganteres Verfahren – die Dynamomaschine. Sie führte später zur Elektrifizierung der ganzen Welt.

Nachbau der Dynamomaschine von 1866. Die Polschuhe (blau) werden von der schwarzen Wicklung erregt. Zwischen den Polschuhen rotiert ein Doppel-T-Anker, der in dieser Position wie eine glatte Walze aussieht. Foto: Siemens

Die Magnetzünder basierten auf der „elektromagnetischen Induktion“, die Michael Faraday bereits 1821 entdeckt hatte: Bewegt sich ein Magnet durch eine stromleitende Spule, induziert er eine Spannung. Doch lange taten sich die Erfinder schwer, dieses Prinzip in eine Maschine mit brauchbarer Stromausbeute zu übersetzen.

Ein erster Schritt in diese Richtung gelang Werner Siemens 1856 mit der Erfindung des Doppel-T-Ankers: Eine Spule mit zwei T-förmigen Eisenkernen rotiert zwischen zwei gebogenen Dauermagneten. Dieses Design reduzierte die magnetischen Streuverluste. So ließ sich etwa ausreichend Strom für Telegrafen erzeugen – damals das Kerngeschäft von Siemens.

Doch schon bei den Magnetzündern oder den immer länger werdenden Telegrafenlinien kamen diese Dynamos an ihre Grenzen. Und an „Starkstrom“-Anwendungen wie Licht oder Elektromotoren war gar nicht zu denken. Der Grund: Das von den Permanentmagneten erzeugte Magnetfeld war zu schwach. Elektromagnete würden dieses Problem zwar lösen, brauchten dafür aber Batterien oder andere externe Stromquellen – zur damaligen Zeit keine praktikable Lösung.

Bei der Beschäftigung mit den Minenzündern fiel dem damals 50-jährigen Siemens auf, dass bei Elektromagneten nach Abschalten des Stroms noch ein schwaches Magnetfeld zurückbleibt. Dieser Restmagnetismus reicht aus, um einen schwachen Strom in einer Spule zu erzeugen. Hier hatte der Erfinder einen genialen Geistesblitz: Er führte diesen Strom in den Elektromagneten zurück, sodass sich die Anfangserregung fortlaufend bis zur magnetischen Sättigung des Eisenkerns selbst verstärkte. Die selbsterregten Generatoren waren dadurch weitaus effizienter als Geräte mit Permanentmagneten. Entsprechend kleiner konnte auch der Antrieb – etwa durch Dampfmaschinen oder Wasserräder – ausfallen. Insgesamt konnte Siemens dadurch den Preis der Stromerzeuger um 75 Prozent reduzieren.

Werner Siemens um 1847. Foto: Siemens
Produktion im Charlottenburger Siemens & Halske-Werk 1890. Foto: Siemens

Siemens war allerdings nicht der alleinige Entdecker dieser Selbsterregung. Auch andere Ingenieure waren an „der Sache nah dran“, wie Werner Siemens am 4. Dezember 1866 an seinen Bruder Wilhelm schrieb. „Die Sache ist sehr ausbaufähig und kann eine neue Ära des Elektromagnetismus anbahnen.“ Unter anderem experimentierten der ungarische Erfinder Anianus Jedlick, der dänische Eisenbahningenieur Søren Hjorth sowie der britische Physiker Charles Wheatstone an selbsterregten Dynamomaschinen – zum Teil bereits lange vor Siemens. Doch Siemens schaffte es als Erster, seine Erfindung publik zu machen. Am 17. Januar 1867 lässt er vor der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin seine Abhandlung „Über die Umwandlung von Arbeitskraft in elektrischen Strom ohne Anwendung permanenter Magnete“ verlesen – nur einen Monat bevor Wheatstone seine Apparatur der Royal Society in London vorstellte.

Anfangs erreichte Siemens’ Maschine nur eine Leistung von rund 25 Watt. Doch bald stieg sie in den Kilowattbereich und machte es möglich, Elektrizität für Beleuchtung, Transport und industrielle Fertigung zu nutzen. 1888 wird Siemens in den Adelsstand erhoben und darf sich fortan Werner von Siemens nennen. Als er am 6. Dezember 1892 in Berlin-Charlotten-burg stirbt, ist sein Unternehmen längst ein weltumspannender Konzern. JOSEPH SCHEPPACH