MIT Technology Review 5/2017
S. 104
Meinung
Bücher

Evolution jenseits von Darwin

Das Forschungsfeld Epigenetik ist jung, die Debatte alt: Vererben Lebewesen ihren Nachkommen mehr als nur Gene? Zwei aktuelle Publikationen gehen der Frage nach.

Eva Jablonka, Marion J. Lamb: Evolution in vier Dimensionen Wie Genetik, Epigenetik, Verhalten und Symbole die Geschichte des Lebens prägen. Hirzel Verlag, 566 Seiten, 42 Euro

Mit der Evolutionstheorie von Jean-Baptiste Lamarck aus dem frühen 19. Jahrhundert möchte heute kein ernst zu nehmender Biologe mehr in Verbindung gebracht werden. Erworbene Merkmale werden nicht so vererbt, wie Lamarck es damals am Beispiel der Giraffen und ihren langen Hälsen behauptet hat. Trotzdem bezweifelt inzwischen kaum jemand, dass im Rahmen der Epigenetik mehr weitergegeben wird als nur die Gene. Einige Wissenschaftler halten das Forschungsfeld sogar für ein zentrales Thema des 21. Jahrhunderts.

Dazu zählen auch Eva Jablonka und Marion Lamb, deren grundlegendes Werk „Evolution in vier Dimensionen“ nun auf Deutsch vorliegt. Darin erläutern die Autorinnen, wie die vier Bereiche Genetik, Epigenetik, Kultur und die Welt der Symbole allesamt die Evolution prägen. Methylgruppen, die einzelne Gene aktivieren oder stilllegen, werden zum Teil über Generationen weitergegeben. Mögen die biologisch geprägten Argumente leicht einleuchten, werden Anhänger der reinen Lehre Darwins wohl am Ende vor dem sehr weit gefassten Vererbungsbegriff der Autorinnen zurückschrecken. Denn sie subsumieren auch die Vererbung von kulturellen und symbolischen Inhalten unter Evolution, die in ihren Augen obendrein sehr viel zielgerichteter erfolgt, als von vielen angenommen.

Peter Spork: Gesundheit ist kein Zufall Wie das Leben unsere Gene prägt. Die neuesten Erkenntnisse der Epigenetik. DVA Verlag, 416 Seiten, 22,99 Euro (E-Book 18,99 Euro)

Obwohl sich Peter Spork dieser weitgreifenden These von Jablonka und Lamb verschließt, fasziniert auch ihn das Phänomen Epigenetik. In seinem auf ein breites Publikum zielenden Buch „Gesundheit ist kein Zufall“ versucht der Wissenschaftsjournalist, die Brücke zu schlagen zwischen komplexen epigenetischen Prozessen und modernen Zivilisationskrankheiten. In der Quintessenz laufen Sporks Ratschläge zwar auf das altbewährte Rezept „viel Bewegung, ausgewogene Ernährung, erholsamer Schlaf“ hinaus. Seine Argumentation veranschaulicht er allerdings mit aufschlussreichen Berichten über die Stimulierung von Erbanlagen durch Umwelteinflüsse.

So erwähnt der Verfasser eines regelmäßigen Epigenetik-Newsletters verblüffende historische Begebenheiten: Der Hungerwinter 1944/45 etwa führte in den Niederlanden zu sehr kleinen Neugeborenen, aber auch deren eigener Nachwuchs war später besonders klein. Traumata hinterlassen ebenso Spuren in der Stressregulation der Nachkommen, wie Spork am Beispiel von Holocaust-Überlebenden zeigt.

Das zentrale Thema aber bleibt für den Buchautor die Gesundheit. Diese definiert Peter Spork nicht einfach als Abwesenheit von Krankheit, sondern als einen dynamischen Prozess, den es mit allen Mitteln immer wieder aktiv anzustoßen gilt. Dem ist am Ende nichts mehr hinzuzufügen. Aber über das Phänomen der Epigenetik ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. INGE WÜNNENBERG

COMIC

Mensch oder Maschine?

Keine Frage: Der Brite Alan Turing ist eine der bedeutendsten Figuren in der Informatik und Mathematik. Der Autor Jim Ottaviani und der Illustrator Leland Purvis haben ihm deshalb einen Comic gewidmet. Sie beschränken sich dabei nicht auf Turings Entschlüsselungsleistung an Enigma-Nachrichten während des Zweiten Weltkriegs. Auch seine Arbeit in den Jahren vor und nach dem Krieg findet ihren Platz. Turing als Person gewinnt ebenso an Kontur: seine Schüchternheit, seine Homosexualität, seine Spleens wie etwa der an der Heizung angekettete Kaffeebecher und seine Laufbegeisterung. Das macht den Comic auch für Leser ohne technisches Vorwissen interessant.

Etwas verwirrend bleibt die Erzählstruktur. Auch Wegbegleiter kommen zu Wort, befragt durch eine Person aus dem Off, etwa Turings Mutter oder seine Kurzzeit-Verlobte Joan Clarke. Manchmal antwortet auch Turing selbst aus dem Off. Dann wird die Zuordnung schwierig. Vielleicht wollte Ottaviani Parallelen zum Turing-Test schaffen, in dem ein Fragesteller herausfinden muss, wer antwortet: ein Mensch oder eine Maschine. JENNIFER LEPIES

Jim Ottaviani und Leland Purvis: The Imitation Game: Alan Turing Decoded (Englisch), Abrams Books, 233 Seiten, 15,99 Euro (E-Book 14,39 Euro)

Biografie

Einsteins Irrtum

Albert Einstein gilt bis heute als genial, aber kauzig. Der Journalist und Autor David Bodanis zeigt in „Einsteins Irrtum“ viele Facetten des Genies – etwa den freundlichen und weltoffenen Menschen Albert Einstein, der eine innige Beziehung zu seiner Schwester Maja hatte, intelligente Frauen schätzte und seine beiden Söhne über alles liebte.

Bodanis schildert zudem sehr anschaulich und verständlich, wie Einstein 1905 im Patentamt in Bern seine ersten Ideen zur speziellen Relativitätstheorie kamen und er zehn Jahre später mit der allgemeinen Relativitätstheorie den Grundstein für unser heutiges Verständnis von Raum und Zeit legte. Kurz danach korrigierte Einstein die allgemeine Relativitätstheorie, kehrte aber später wieder zu der ursprünglichen Form zurück und bezeichnete die Korrektur als den größten Fehler seines Lebens.

Auch deshalb lehnte es Einstein später wohl ab, seine Zweifel an der Unschärferelation und der Quantenphysik zu revidieren, worauf sich der Titel „Einsteins Irrtum“ bezieht. Schon bald darauf ist Einstein nicht mehr Teil der wissenschaftlichen Diskussionen und verbringt seine letzten Jahre zurückgezogen als Professor in Princeton.

„Einsteins Irrtum“ ist ein spannendes Buch, das dem Leser sowohl den Menschen Albert Einstein als auch die Grundlagen seiner bedeutendsten Entdeckungen nahebringt. KARSTEN SCHÄFER

David Bodanis: Einsteins Irrtum, DVA Verlag, 336 Seiten, 19,99 Euro (E-Book 16,99 Euro)

Raumfahrt

Per Anhalter ins Weltall

SpaceX plant bereits die ersten Raumfahrten, die auch Normalsterblichen einen kleinen Trip ins Weltall ermöglichen sollen. Den dazu passenden Reiseführer hat der Astronom Neil Comins veröffentlicht.

Er deckt in „The Traveler’s Guide to Space“ alles ab, was der designierte Weltraumtourist für seine bevorstehende Reise wissen muss, ohne zu technisch zu werden. Comins schöpft dabei aus seinem Erfahrungsschatz als Mitarbeiter der Nasa und konzentriert sich nicht nur auf Astronomie und Raketentechnik. Gerade dem sozialen Zusammenspiel auf einer Raumstation und den psychischen Belastungen längerer Aufenthalte im Weltall räumt er viel Platz ein.

Das Buch als Reiseführer aufzubauen, ist eine witzige Idee, nur ist es leider noch zu früh, um ihn auch als solchen zu benutzen. So stören die für ein Nachschlagewerk typischen Dopplungen und die, vor allem im Mittelteil, stakkatohaft aneinandergereihten Unterteilungen der Kapitel. Trotzdem ist der Traveller’s Guide eine fundierte und leicht verständliche Einführung in die Raumfahrt, die den Raumfahrer selbst in den Mittelpunkt stellt. MARCO LEHNER

Neil F. Comins: The Traveler’s Guide to Space, Columbia University Press, 296 Seiten, 30 US-Dollar