MIT Technology Review 6/2017
S. 66
Fokus
Synthetische Biologie

Die Kreationisten

Leben könnte bald ohne Evolution entstehen. Mit der synthetischen Biologie wollen Forscher Organismen auf dem Reißbrett planen und sogar künstlich erschaffen.

Der Organismus als Maschine – kaum einer treibt diese Sicht mehr ins Extrem als Craig Venter. Berühmt geworden mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms, sieht er alles Lebendige in erster Linie als Biomaschine, programmiert per DNA. Also liegt der Gedanke nahe, sie auch wie ein Ingenieur herzustellen. Seit zwanzig Jahren versucht der Genforscher, ein künstliches Bakterium zu erschaffen. 2016 konnte er mit seinem Team einen wichtigen Durchbruch vermelden. Die Gene des Bakteriums Mycoplasma mycoides hatten die Forscher von 901 auf 473 verschlankt, indem sie alles herauswarfen, was für den Lebenserhalt überflüssig war. Die abgespeckte 473-Genversion stellten sie synthetisch her und verfrachteten sie in eine entleerte Zellhülle von Mycoplasma mycoides. Das Konstrukt lebte, sprich: futterte und teilte sich. In drei Stunden verdoppelte sich die Zellzahl. „JCVI-syn3.0“ heißt das artifizielle Bakterium jetzt. Venters Ergebnisse sind zwar Grundlagenforschung. Doch langfristig will er zeigen, dass sich mit derartigen Methoden Organismen nicht nur nachbauen, sondern neu erfinden lassen. Die künstlichen Zellen könnten als Produktionsstätten für Pharma-, Chemie- und Textilindustrie dienen, stellt der Forscher in Aussicht.

Bildmontage mit gefärbter Rasterelektronenmikroskop-Aufnahme einer Hefezelle. Fotos: Imago/ Science Photo Library, Shutterstock

Hat Venter Leben erschaffen? „Es ist auf jeden Fall eine neue Stufe verglichen mit der Gentechnik, die einzelne Gene ausschaltet oder neu einbringt“, sagt Christoph Rehmann-Sutter von der Uni Lübeck, der sich als Philosoph mit der Definition der synthetischen Biologie auseinandersetzt. Für ihn gilt als synthetische Biologie, wenn Teile des genetischen Codes synthetisch hergestellt und in bestehende oder künstliche Lebensformen eingefügt werden. Die Technik für dieses „Schreiben von DNA“ gibt es seit den achtziger Jahren und erfolgt heute in vollautomatisierten Maschinen. Aber als neue Lebensform würde er Venters Organismus nicht bezeichnen. „Das Original ist ein bereits existierender Organismus. Bestehendes lebt im Grunde weiter.“