MIT Technology Review 7/2017
S. 62
TR Mondo

tr mondo

DÄNEMARK

Die neuen Riesensegler

Zwei dreißig Meter hohe und fünf Meter breite Rotorsegel werden zu Versuchszwecken auf einem Tanker installiert. Foto: Norsepower

Die dänische Reederei Maersk traut sich was: Der weltgrößte Schiffsbetreiber wird zu Testzwecken auf eines seiner Tankschiffe zwei Flettner-Rotoren setzen. Die senkrechten Metallzylinder sind eine fast vergessene Antriebsart, die – ähnlich wie Segel – die Kraft des Windes in Schubkraft für das Schiff übersetzt. Ein Tanker bekommt dazu im nächsten Jahr zwei dreißig Meter hohe und fünf Meter breite Säulen aus extraleichten Verbundwerkstoffen. Außer deren Verankerung muss nichts an dem 240 Meter langen Schiff verändert werden.

Die Technologie der Rotorsegel ist fast hundert Jahre alt. Benannt sind die Rotoren nach Anton Flettner, einem deutschen Ingenieur und Erfinder, der die Idee des Göttinger Strömungsforschers Ludwig Prandtl in den 1920er-Jahren erfolgreich auf zwei Motorschiffen einführen konnte. Der komplementäre Antrieb bewährte sich zwar, kam aber leider zu spät: In jenen Jahren verdrängten gerade die Dampfer die Segelschiffe von den Weltmeeren.

Trotzdem ist die Idee nie vollständig aus den Köpfen der Ingenieure verschwunden. Ein halbes Jahrhundert später griff der französische Ozeanograf Jacques Cousteau sie wieder auf und ließ sein zweites Forschungsschiff „Alcyone“ zusätzlich mit zwei Rotorsegeln ausstatten. Das Schiff tut bis heute seine Dienste.

Rotoren sind völlig anders konstruiert, funktionieren aber ähnlich wie Flugzeugflügel. Die Tragflächen erzeugen dank ihrer Wölbung auf der Oberseite einen Unterdruck und auf der Unterseite einen Überdruck. Diese Kräfte summieren sich zu einem permanenten Sog nach oben, sobald Luft an den Flügeln vorbeiströmt.

Bei dem Rotorsegel versetzt ein Elektromotor den Zylinder in Rotation. Durch die Drehung bewegt sich die eine Seite der Metallsäule mit dem Luftstrom, die andere dreht sich dem Luftstrom entgegen. Auch hier entsteht auf der einen Seite Unterdruck und auf der anderen Überdruck. Der sogenannte Magnus-Effekt führt dazu, dass die Rotorsegel das ganze Schiff in Richtung der beschleunigten Luft bewegen. Im Vergleich zum Flugzeugflügel entwickelt das Rotorsegel sogar eine rund zehnfach höhere Sogwirkung.

Der Haken ist allerdings, dass die Rotoren nur dann wirksam sind, wenn der Wind aus seitlichen Richtungen weht. Andrew Scott vom staatlichen britischen Energy Technologies Institute ETI, das den Maersk-Praxistest zum Großteil finanziert, ist dennoch von der Technik überzeugt: „Flettner-Rotoren haben das Potenzial, den Kraftstoffverbrauch der Schiffe substanziell zu senken.“ Er geht von Einsparmöglichkeiten bis in den zweistelligen Prozentbereich hinein aus, insbesondere bei Tankern und Massengutfrachtern.

Die Einschätzung kann der Windkraftpionier Enercon aus Aurich bestätigen. Seit 2010 nutzt das Unternehmen das Frachtschiff „E-Ship 1“ mit vier Flettner-Rotoren, um seine Windenergieanlagen weltweit auszuliefern. Die Technik habe sich als wirksam und robust erwiesen. Je nach Wetterlage lassen sich damit bis zu 15 Prozent Kraftstoff einsparen.

HANS WILLE