MIT Technology Review 7/2017
S. 93
Fundamente
Jubiläum

Bis das Blut gerinnt

Vor 350 Jahren wagte ein Mediziner die erste Bluttransfusion – und legte den Grundstein für ein Verfahren, das Forscher nun mit künstlichem Blut perfektionieren wollen.

Darstellung der ersten Bluttransfusion in einem Lehrbuch von 1705. Foto: Wellcome Library

Eine lange Kanüle verband die Vene eines 15-Jährigen mit dem Blutkreislauf eines lebendigen Lamms. Nachdem das Tier einen Viertelliter Blut abgegeben hatte, stoppte Jean Baptiste Denis das tollkühne Experiment an diesem 15. Juni 1667 – die erste dokumentierte Bluttransfusion. Der Leibarzt des Sonnenkönigs Ludwig XIV. wollte das „rasende Fieber“ des Jungen durch das Blut eines sanftmütigen Tiers besänftigen.

Der Junge überlebte. Er hatte großes Glück, denn normalerweise reagiert der menschliche Körper auf Tierblut mit einer heftigen, oft tödlichen Abwehrreaktion. Doch das war damals noch unbekannt. So verliefen denn auch weitere Experimente tödlich. Am 17. April 1668 untersagte das französische Parlament alle solchen Versuche. Als wenig später in Rom mehrere Männer an den Folgen einer Blutübertragung starben, sprach der Papst ein Verbot von Bluttransfusionen in ganz Europa aus.

Aber Mediziner wie James Blundell hielten sich nicht daran. Am 1. September 1818 führte der Arzt am Londoner Guys Hospital die erste erfolgreiche Bluttransfusion von Mensch zu Mensch durch. Spender waren die Ehefrau und mehrere Familienmitglieder des Empfängers. Der bereits todkranke Patient besserte sich daraufhin kurzzeitig, starb aber zwei Tage später.

Die Ergebnisse weiterer Bluttransfusionen waren allerdings derart unterschiedlich, dass sich der Wiener Arzt Karl Landsteiner fragte, ob ein System dahinterstecke. Er entnahm sich selbst und fünf seiner Mitarbeiter Blut und mischte es in allen Kombinationen. Aus den Ergebnissen leitete er 1901 das sogenannte AB0-Blutgruppensystem ab, für das er später den Nobelpreis bekam. Je nach Kombination der Blutgruppen kann es nach einer Transfusion zu tödlichen Immunreaktionen kommen.

Mit dieser Erkenntnis half Landsteiner der Transfusionsmedizin endgültig zum Durchbruch. 1914 legte dann der belgische Arzt Albert Hustin den Grundstein zur Konservierung von Blut. Das Rezept dafür entwickelte er, als er verschiedene Substanzen in Blutproben rührte. Dabei machte er eine bahnbrechende Entdeckung: Versetzte er das Blut mit einer Portion Natriumcitrat, einem farblosen Salz der Zitronensäure, so blieb es flüssig, statt wie sonst nach einigen Minuten an der Luft zu gerinnen. Damit wurde es erstmals möglich, Blut für längere Zeit aufzubewahren – als Blutkonserve.

Seither retteten sie viele Leben, haben aber auch Schwächen: So müssen Blutspenden sorgfältig gekühlt und nach spätestens 49 Tagen verbraucht werden. Zudem kann Spenderblut auch Krankheitserreger übertragen. Und ein Krankenhaus in New Jersey hat festgestellt: Bei vielen Operationen gehen Mediziner zu freizügig mit den Blutkonserven um. Wer bei Eingriffen möglichst auf sie verzichtet, hat am Ende sogar die gesünderen Patienten (siehe TR 1/2016, S. 80).

Daher suchen Mediziner nach Ersatzmitteln. Künstliches Blut wäre die beste Alternative. Verschiedene Varianten werden zurzeit in klinischen Studien und Tierversuchen getestet. Im Mittelpunkt des Forscherinteresses steht der eisenhaltige rote Blutfarbstoff Hämoglobin, der Sauerstoff von der Lunge in den Körper transportiert. Aber noch hat kein Produkt die Hürde für eine Zulassung in Europa überwunden.

Auch die Krebsforschung könnte von derartigen Ansätzen profitieren. Wissenschaftlern des Children’s Hospital in Boston ist es erstmals gelungen, sogenannte pluripotente Stammzellen in Blutstammzellen umzuwandeln. Damit könne man, hoffen die Forscher, Krankheiten wie Blutkrebs gleichsam in der Petrischale nachstellen – und neue Therapien im Kampf gegen Leukämie entwickeln. JOSEPH SCHEPPACH