MIT Technology Review 7/2017
S. 86
Meinung
Bücher

Genetik in eigener Sache

Bestsellerautor Siddhartha Mukherjee verknüpft die Geschichte der Vererbungslehre mit seiner Familienhistorie.

Siddhartha Mukherjee: Das Gen. Eine sehr persönliche Geschichte Verlag S. Fischer, 768 Seiten, 26 Euro (E-Book 22,99 Euro)

Die Entwicklung der Genetik mag heutzutage vielen präsent sein. Siddhartha Mukherjee gewinnt den Leser aber vor allem mit seiner eigenen Familiengeschichte für seinen besonderen Rückblick. Indem der Mediziner in „Das Gen“ immer wieder auf die psychischen Erkrankungen in der Familie seines Vaters zurückkommt, behandelt er ein zentrales Problem der noch jungen Disziplin: Bisher weiß man noch zu wenig über die Gene, die etwa Schizophrenie auslösen können. Aber selbst wenn alle identifiziert wären, könnte man nicht sagen, ob und wann die Krankheit ausbricht oder was man dagegen tun kann. Wie soll aber Mukherjee damit umgehen? Und wie soll er sich im Falle seiner beiden Töchter verhalten? Das ist ein Knackpunkt, der immer wieder zur Sprache kommt.

Der gebürtige Inder, der 2011 für sein Debüt „Der König aller Krankheiten: Krebs – eine Biografie“ den Pulitzer-Preis erhielt, beschränkt sich in dem Band nicht auf materielle Grundlagen oder spektakuläre Funde. Er stellt zwar die Stationen der Genetik von Mendels Kreuzungsexperimenten bis hin zu den ersten Gentherapien und dem derzeit viel beachteten Genediting vor. Zugleich reflektiert er aber immer die gesellschaftliche Dimension. So „erlaubt uns die auf CRISPR/Cas9 gestützte Technik, dem Genom Informationen hinzuzufügen“, sagt Mukherjee etwa über die neuen Genscheren. „Aber können Menschen ihr eigenes Genom verantwortungsbewusst ,verbessern‘?“

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EVOLUTION

Ein Anfang fern von Blitz und Donner

Am Anfang standen nicht die Ursuppe und regelmäßige Funkenentladungen. Jedenfalls nicht, wenn es nach Nick Lane geht. Der britische Biochemiker vom Londoner University College hat einen ganz anderen Ursprung im Sinn. In seinem jüngsten Buch „Der Funke des Lebens“ verortet Lane den Beginn des Lebens vor rund vier Milliarden Jahren an alkalischen Quellen in den Tiefen des Atlantiks. Damit schließt er sich dem schottischen Geochemiker Michael Russell an, der dort an der Grenze zwischen heißem, mineralhaltigem Quellwasser und saurem, kaltem Meerwasser ein gelartiges Eisensulfid fand, das Poren und Blasen ausbildet. Für die beiden also der Ursprung der Einzeller.

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Geschichte

Vogelperspektive

Josef Neubronner hatte weder Drohnen noch eine Digitalkamera für gestochen scharfe Bilder. Und doch nahm mit ihm die private Luftfotografie ihren Anfang. Dass den deutschen Apotheker und Fabrikanten heute keiner mehr kennt, dürfte an den mehr als 100 Jahren liegen, die seitdem vergangenen sind. Und eventuell auch an der Ausstattung, die er für seine Bilder benutzte. Seine Quadrocopter waren Brieftauben, und für sie hatte der begeisterte Hobbyfotograf kleine Kameras gebastelt, die er ihnen um die Körper schnallte. So entstanden grobkörnige Aufnahmen in Schwarz-Weiß, die Welt aus der Vogelperspektive.

Aber nicht immer machten Technik und Tiere, was Herr Neubronner wollte. Daraus entspinnt sich in dem Büchlein eine poetisch erzählte Geschichte von Mensch und Taube, von Erfindergeist und Ernüchterung.

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Biografie

Elektrisiert

Um Nikola Tesla ranken sich viele Legenden: Kein Wunder, schließlich schmückte sich der Mann, der 1887 den elektrischen Synchronmotor erfand, gern auf offener Bühne mit Blitzen aus Hochfrequenzentladungen, um potenzielle Investoren zu beeindrucken. Aber auch die feine Gesellschaft New Yorks und die immer sensationshungrige Boulevardpresse versorgte der stets tadellos gekleidete, dunkle, schlanke Serbe gern mit seinen visionären Geschichten.

15 Jahre hat der Historiker Bernard Carlson von der University of Virginia an der mehrfach ausgezeichneten Biografie gearbeitet, die nun auch in deutscher Sprache vorliegt. Dabei ist alles andere als ein trockenes akademisches Werk herausgekommen: Unter Verweis auf zahlreiche zeitgenössische Quellen zeichnet Carlson den Charakter des exzentrischen Ausnahmetalents nach. Er analysiert, wie es Tesla möglich war, Innovationen wie am Fließband zu produzieren, und erklärt seine Business-Strategien. Das ist unterhaltsam und lehrreich, auch wenn so manche Verschwörungstheorie, wie zum Beispiel die Geschichte von den Plänen einer Partikelwaffe, die der greise Erfinder entwickelt haben sollte, sich in Luft auflöst. WOLFGANG STIELER