MIT Technology Review 8/2017
S. 96
Fundamente
Jubiläum

God Send Mobiles

Vor 25 Jahren sollte mit dem ersten digitalen Mobilfunknetz in Deutschland eine neue Epoche der Kommunikation beginnen. Das D-Netz kam – zunächst aber leider ohne Endgeräte.

Knochen werden schlau: Evolution vom Motorola 8900x-2 von 1994 bis zum Samsung Galaxy S4 von 2014. Foto: Wikipedia

Die Stellenbeschreibung für den Chefposten sprach von „der größten Herausforderung der gesamten deutschen Wirtschaft“. Tatsächlich stand der Arbeitgeber, die Telefonsparte der Deutschen Bundespost, Ende der Achtziger vor einer heiklen Aufgabe: Sie sollte erstmals gegen private Konkurrenz antreten. Dafür war eigens Artikel 87 des Grundgesetzes geändert worden, der das Fernmeldewesen als staatliche Aufgabe definiert hatte.

Den Job bekam Helmut Ricke, Chef des TV-Herstellers Loewe-Opta und Vater des späteren Telekom-Vorstandsvorsitzenden Kai-Uwe Ricke. Im Januar 1990 trat Helmut Ricke an, den Staatsbetrieb zu einem wettbewerbsfähigen Dienstleister umzubauen. Seine wichtigste Baustelle war der Mobilfunk. Das analoge C-Netz war zu diesem Zeitpunkt fünf Jahre in Betrieb – und trotzdem schon veraltet. Die Teilnehmerzahl war auf 800000 begrenzt und die Sprachqualität mau. Besserung versprach der kurz zuvor eingeführte digitale Standard GSM (Global System for Mobile Communications). Schon vor Rickes Amtsantritt hatte die Bundesregierung zwei Lizenzen für das neue D-Netz im 900-Megahertz-Bereich vergeben: eine für die Post-Tochter „DeTeMobil Deutsche Telekom Mobilfunk GmbH“, die andere für einen privaten Betreiber. Sie war praktisch kostenlos, da nur ein glaubwürdiges Geschäftskonzept vorgelegt werden musste. Den Zuschlag bekam am 7. Dezember 1989 ein buntes Konsortium unter Führung des Röhrenkonzerns Mannesmann (heute Vodafone).

Den Start wollte die Telekom medienwirksam bei einer großen Pressekonferenz am 1. Juli 1992 verkünden. Doch Mannesmann wollte auf keinen Fall Zweiter sein und schaltete das eigene Netz einen Tag früher scharf. Potenziellen Kunden dürften wenig davon mitbekommen haben, denn die Industrie konnte erst im Herbst die ersten Geräte liefern. Das Kürzel GSM wandelte sich zum Stoßgebet: „God Send Mobiles“.

Ebenfalls abschreckend waren anfangs die schlechte Netzabdeckung außerhalb der Städte sowie die hohen Kosten. Bei der Telekom betrug die Grundgebühr 79,80 Mark im Monat; tagsüber kostete ein Anruf 1,68 Mark pro Minute. Mannesmann war kaum günstiger. Doch der Wettbewerb zwang die Konkurrenten zu massiven Subventionen. Dann ging es Schlag auf Schlag: 1993 konnten sie die Marke von einer Million Teilnehmern knacken. Mittlerweile gibt es hierzulande rund 131 Millionen Mobilfunkanschlüsse – etwa 1,6 pro Einwohner.

Entscheidend für diesen Erfolg war die Möglichkeit, auch Daten zu übertragen. Bereits GSM, das in erster Linie für Sprachübertragung ausgelegt war, eignete sich rudimentär zum Surfen. Mit UMTS, das seinen Nutzern bis zu zwei Megabit pro Sekunde versprach, wurde Datentransfer endgültig zum großen Geschäft. Sage und schreibe 50 Milliarden Euro gaben die Mobilfunkbetreiber im Jahr 2000 für die UMTS-Lizenzen aus.

Im Rückblick war es eine fragwürdige Investition. „Bis heute ist es den Spielern nur bedingt gelungen, aus den Investitionen hinreichend Profit jenseits ihres klassischen Geschäfts zu schlagen“, bilanziert Marc Ziegler von Porsche Consulting. „An den darauf aufbauenden Daten- und Plattformgeschäften, zum Beispiel für Musik- und Videostreaming, partizipieren die Mobilfunkanbieter nur zu einem geringen Teil. Die Schlacht haben eindeutig – und unwiederbringlich – Apple, Amazon, Google und Facebook für sich entschieden.“ JOSEPH SCHEPPACH