MIT Technology Review 9/2017
S. 12
Aktuell

Interview

„,Game of Thrones‘ ist historisch realistisch“

TR: Celine, Sie haben die Sterberate in „Game of Thrones“ mit echten historischen Daten verglichen. Woher hatten Sie die Daten?

Celine Cunen: Die habe ich auf Wikipedia gefunden. Ich schrieb ein Computerprogramm, das alle Artikel über Menschen durchsucht, die in England, Schottland und Wales während der Zeit des sogenannten Rosenkrieges gelebt haben. George Martin, der Autor der Bücher, die die Vorlage für die Serie lieferten, hat oft gesagt, dass dieser Krieg im 15. Jahrhundert zwischen zwei Fürstenhäusern seine historische Inspiration war.

Die populäre Fantasy-Serie „Game of Thrones“ schildert den Machtkampf adeliger Familien um ein fiktives mittelalterliches Königreich. Celine Marie Løken Cunen von der Universität Oslo hat die Sterberate der Serie mit historischen Daten verglichen. Foto: Privat

Und was ist bei Ihrem Vergleich herausgekommen?

Zunächst mal muss man verstehen, dass es nicht reicht, einfach das durchschnittliche Sterbealter aller Menschen in dieser Serie zu berechnen. Das würde ein falsches Bild ergeben. Bei „Game of Thrones“ sind nicht alle Menschen, die sterben werden, zu einem bestimmten Zeitpunkt bereits tot, weil die Geschichte noch weitergeht. Das ist nur eine Momentaufnahme. Wenn man die sogenannte Kaplan-Meier-Methode benutzt, kann man dieses Problem lösen. Dabei kommt heraus, dass die Todesrate in der Serie höher ist als im Krieg der Rosen.

Also ist die Serie zu blutrünstig?

Im Schnitt ja, aber nicht, wenn man sich verschiedene Bevölkerungsgruppen ansieht. Wenn man sich zum Beispiel die Adligen anschaut, haben sie in der Serie und in den historischen Daten eine ganz ähnliche Wahrscheinlichkeit zu überleben. Die Kurven überlappen sich für die meisten Altersgruppen. Das könnte darauf hindeuten, dass „Game of Thrones“, obwohl es in gewissem Sinne übertrieben ist, die Todesrate für Adlige in einem realen Krieg des 15. Jahrhunderts realistisch widerspiegelt.

Und die gewöhnlichen Menschen?

Für die Bürger war das Muster anders. Bürgerliche sterben in „Game of Thrones“ sehr viel früher als im Krieg der Rosen. Das könnte bedeuten, dass die Serienmacher übertreiben, aber es könnte auch bedeuten, dass wir über verschiedene Arten von Bürgern sprechen. In „Game of Thrones“ werden einige Bürgerliche nur gezeigt, weil sie sterben. Sie haben keine andere Rolle. In Wikipedia tauchen Bürgerliche auf, wenn sie etwas Außergewöhnliches geschafft haben, zum Beispiel in das Parlament gewählt zu werden, sehr reich zu werden oder sehr lange zu leben.

Foto: Intertopics/Ddp Filmfotos

Aber Ihre Untersuchung war nicht nur Spaß?

Die Arbeit war nicht Teil meiner Forschung. Es war hauptsächlich für den Wissenschaftsblog, den ich mit einigen Freunden betreibe.

Sie wollten damit auch Werbung für Ihr Fachgebiet machen?

Ja, ich hoffe, dass die Leute das lesen und denken, dass Statistik ziemlich cool sein kann. Ich selbst bin eher zufällig zur Statistik gekommen. Aber ich hätte gern so etwas gesehen, als ich ein junges Mädchen war, das darüber nachdachte, was es studieren soll. Aber das Projekt könnte tatsächlich auch die Grundlage für eine wissenschaftliche Arbeit werden. Ich habe noch weitere Analysen gemacht, um zu berücksichtigen, wie Menschen sterben. Werden sie krank, oder sterben sie an Altersschwäche, oder werden sie getötet? Das nennen wir eine konkurrierende Risikoanalyse, und wir haben eine neue Methode dafür gefunden. Es könnte also ein Paper daraus werden, aber ich weiß nicht, ob „Game of Thrones“ darin überhaupt erwähnt wird. INTERVIEW: Wolfgang Stieler

OPTIK

Extrem flache Kamera ohne Linse

So klein Handykameras auch sind, sie benötigen trotzdem noch eine gewölbte Linse. Ohne sie kommt nun ein flacher Bildchip aus, den Ali Hajimiri und Kollegen am California Institute of Technology in Pasadena entwickelt haben. Statt fokussierender Linsenoptik nutzten sie ein Areal aus 64 Photosensoren, die den Zeitpunkt für den Nachweis einfallender Lichtwellen elektronisch beliebig verzögern konnten. Dank der simulierten Phasenverschiebung imitierte der Bildchip die Ablenkung der Lichtwellen einer Linse.

Entkoppelt von den Regeln der Optik ließ sich der Fokus des Bildchips rein elektronisch von einem starken Zoom- bis zu einem extremen Weitwinkeleffekt verändern. Mit 64 Pixeln reicht die Auflösung allerdings lange nicht an die herkömmlicher Digitalkameras heran. Doch Hajimiri ist überzeugt, dass sich die Pixeldichte drastisch steigern lässt. Sollte dieser Schritt gelingen, wäre das nicht nur ein Fortschritt für Kameras, sondern auch für Teleskope am Boden oder im Weltraum. JAN OLIVER LÖFKEN

Robotik

Rettung durch den Schlauch

Sieht filigran aus, ist aber kräftig. Foto: Elliot W. Hawkes et al.

Ein Schlauch-Roboter der Stanford University soll Verschütteten nach Erdbeben oder Explosionen helfen. Das Team um Elliot W. Hawkes ließ sich dabei von Weinranken und Nervenzellen inspirieren, die sich selbstständig durch Hirngewebe oder Weinstöcke schlängeln.

Der bis zu 72 Meter lange Schlauch aus Polyethylen-Folie wird mit Pressluft allmählich aufgepumpt. Dadurch verlängerte er sich fortlaufend und schlängelte sich geschickt an Hindernissen vorbei. Eine Kamera an der Spitze, angeschlossen über mitgeführte Kabel, liefert Videoaufnahmen. Da der Schlauch in vier Längskammern unterteilt ist, lässt sich seine Spitze über variablen Druck der einzelnen Kammern steuern.

Die Forscher experimentierten mit Durchmessern zwischen zwei Millimetern und 36 Zentimetern. Der dickste Schlauch zwängte sich sogar durch einen wenige Millimeter großen Türspalt und konnte Lasten von bis zu 100 Kilogramm anheben. Für den praktischen Einsatz schlägt Hawkes stabilere Folien aus Nylon- oder Kevlar-Membranen vor. Aufgepumpt mit Wasser, ließe sich damit auch Feuer löschen. JAN OLIVER LÖFKEN

kostenpflichtige wissenschaftliche Texte bietet die sogenannte Schattenbibliothek Sci-Hub gratis zum Download an. Drei große Wissenschaftsverlage haben nun vor einem New Yorker Gericht einen Schadensersatz von 15 Millionen Dollar zugesprochen bekommen für hundert illegal verbreitete Artikel. Macht im Schnitt stolze 150.000 Dollar pro Artikel.

ALLTAGSHILFEN

Federstufen statt Treppenlift

Federn auf beiden Seiten der Stufen sollen das Treppensteigen erleichtern. Foto: Yun Seong Song et al.

Rolltreppen und Aufzüge benötigen viel Energie, Treppenlifte passen nicht in jedes Haus hinein. Eine günstige Steighilfe für ältere Menschen könnte eine Treppe mit gefederten Stufen sein. Karen Liu und ihre Kollegen vom Georgia Institute of Technology in Atlanta befestigten dazu eine Trittplatte mit je zwei Federn an einem Aluminiumrahmen auf beiden Seiten der Stufe. Über einen Drucksensor wurde ein Elektromagnet kontrolliert, der die einmal belastete Trittplatte mit gespannten Federn in dieser Position hielt.

Beim Absteigen ragte eine Trittplatte mit entspannten Federn bis auf das gleiche Niveau der darüber liegenden Stufe heran. Trat nun eine Person auf die Platte, sank sie um 20 Zentimeter ab, die Federn wurden gespannt. Beim Aufsteigen nahm der Proband die erste Stufe selbst. Dadurch aktivierte er einen Sensor und der Elektromagnet ließ die untere Trittplatte los. Über die Entspannung der Federn wurde das zweite Bein auf das Niveau der oberen Stufe angehoben. Neun Testpersonen probierten die Federstufen aus. Dabei wurde der Kraftaufwand und die Belastung der Kniegelenke beim Ab- und Aufsteigen gemessen.

Der Kraftaufwand beim Aufstieg verringerte sich dadurch um etwa 20 Prozent. Die Belastung des Kniegelenks reduzierte sich gar um knapp 38 Prozent. Liu ist überzeugt, dass sich ihre gefederten Treppenstufen weit günstiger als jeder Treppenlift auf jeder Treppe nachträglich installieren lassen. Wann die dynamischen Stufen auf dem Markt sein können, steht noch nicht fest. JAN OLIVER LÖFKEN