MIT Technology Review 1/2018
S. 98
Kolumne
Aufmacherbild
Illustration: Mario Wagner

Der Futurist

Noch einen draufgesetzt

Was wäre, wenn wir unsere Häuser ausdrucken könnten?

Bei ihrem Altersruhesitz wollten Karl-Heinz und Maria alles richtig machen: keine überflüssigen Zimmer mehr, keine unnötig hohen Decken und keine Architekturmoden, die schon nach zehn Jahren so aus der Zeit gefallen wirken wie ein Hipster-Bart. „Zeitlos, flexibel und ganz einfach individuell gestaltbare Häuser“ versprach der Hersteller Additive Architecture. Also gönnte sich das Ehepaar ein „Zukunftspaket“ aus Basisbau und vier Erweiterungsoptionen.

Die Nachbarn in der Vorstadtsiedlung hatten mit dem Anbieter schon gute Erfahrungen gemacht. Auf einer kurzen Gassi-Runde kam Karl-Heinz regelmäßig an einem Schlumpf-Pilz vorbei, Schloss Neuschwanstein, einem Iglu, dem Kanzleramt, der Würzburger Residenz, dem Taj Mahal, einer Hobbit-Höhle, der Elbphilharmonie, dem Todesstern und einem Wiesn-Zelt – jeweils im Format eines Einfamilienhauses. Schlichte Spitzdächer waren praktisch verschwunden, seit das Baurecht liberalisiert wurde und Betondrucker marktreif waren.

Mit routinierten Griffen stellte ein Kranfahrer eines schönen Morgens ein Gerüst auf, an dem Druckdüsen entlangfahren und schichtweise Beton auftragen konnten. 30 Stunden später war der Rohbau fertig. Karl-Heinz hatte sich für einen dezenten Entwurf entschieden – jedenfalls dezenter als jener Urwald aus Türmchen, Zinnen und Erkern seines Nachbarn Dr. Müller-Meinerzhagen. Karl-Heinz setzte dem eine gedrungene Version der Wartburg entgegen. Den Bergfried konfigurierte er bewusst zurückhaltend. Hauptsache, er ragte noch ein Stück über die benachbarte Märchenschloss-Parodie hinaus.

Das Gerüst ließ Karl-Heinz erst einmal stehen. So hielten es viele im Viertel. Dadurch sah die Gegend zwar aus wie ein Werftgelände, aber die Hausbesitzer wollten das Gefühl nicht missen, jederzeit noch eine Doppelgarage, einen Gartenpavillon oder ein Gästehaus anbauen zu können.

Auch Dr. Müller-Meinerzhagen beglückwünschte sich in diesem Moment dazu, das Gerüst stehen gelassen zu haben. So konnte er sein Einfamilienschloss über Nacht mit der Spitze des Burj Khalifa aufstocken und die Lufthoheit über das Viertel zurückerobern.

Karl-Heinz ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Schließlich hatte er noch vier Upgrades frei, und die Daten des Ulmer Münsters waren gerade frisch ins Angebot gekommen. Leider erwies sich der Kirchturm als etwas zu schwer für den Bergfried. Also musste Karl-Heinz auch noch gleich einen Satz gotischer Stützstreben dazubestellen, was zwar interessant aussah, aber die gesamte Terrasse und den halben Garten in Anspruch nahm. Um seine Gattin zu besänftigen, orderte er für ihren geliebten Pudel noch eine passende Hundehütte. Modell Rothenburg, mit eigener Stadtmauer.

Irgendwie musste er sich dabei allerdings verklickt haben, denn der Drucker errichtete die Hütte einen halben Meter zu nah am Haus und blockierte dadurch den Haupteingang. Maria war übers Wochenende verreist, also musste schnell eine Lösung her. Die Hundehütte einfach wieder abzureißen, war keine Option, denn dafür gab es noch keinen Roboter. Da kam Karl-Heinz die Erleuchtung: Er zog Option Nummer vier und ließ sich eine geschwungene Freitreppe bis zum großen Schlafzimmerfenster im ersten Stock drucken.

Damit fühlte er sich zwei Wochen nach dem Einzug zum ersten Mal richtig heimisch. Ärgerlich nur, dass irgendetwas mit dem automatischen Garagentor nicht zu stimmen schien, als er Maria vom Bahnhof abholen wollte. Er ging um das Haus herum, um das Tor von außen zu öffnen. Aber er fand es nicht mehr: Die Reifenspuren endeten direkt an der neuen Freitreppe. GREGOR HONSEL