MIT Technology Review 11/2018
S. 70
Fokus
Cyberwar

Mein erster Cyberkrieg

In einer aufwendigen Übung mit mehr als 800 Menschen hat die Nato in Estlands Hauptstadt Tallinn eine Woche lang den virtuellen Kampfeinsatz geprobt.

Immer wenn bei einem der Verteidigerteams ein Treibstofftank in die Luft fliegt, wird im Kontrollzentrum automatisch ein kleiner Funkenstrahl gezündet. Foto: Nato

Früher war ein Manöver wohl gleichbedeutend mit Gebrüll und Geballer, mit Schlammlöchern und kreischenden Panzerketten. Glaube ich zumindest. Ich war nie dabei.

Mein Manövergelände ist ein Hotel im Zentrum von Tallinn, ein Wolkenkratzer. Wohlklimatisiert, mit weicher Auslegeware und flüsterleisen Fahrstühlen. Als ich den großen Ballsaal im sechsten Stock betrete, den größten des Landes, sehe ich Hunderte Monitore, Tastaturen, Mäuse auf langen Tischreihen. Die LAN-Kabel am Boden dürften zusammengeknotet bis zum Mond reichen; die Wände gepflastert mit Displays, die Karten zeigen, kryptische Tabellen, Diagramme, Flugbahnen. Und überall wuseln Menschen, viele emsige Menschen.

Ich bin als Rekrut der Nato hier. Hätte ich, ein amtlich anerkannter Kriegsdienstverweigerer, mir nie träumen lassen. Werde mit über 800 Leuten eine Woche lang den Cyberkrieg üben, bei „Locked Shields“, der wohl größten und komplexesten Cyber-Einsatzübung der Welt.