MIT Technology Review 12/2018
S. 78
TR Mondo

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GROSSBRITANNIEN

„91 Prozent der ,Treffer‘ sind Fehler“

Die South Wales Police setzt einen Transporter (unten) mit Gesichtserkennungstechnologie ein. Ed Bridges lässt das Vorgehen der Polizei richterlich überprüfen.

Der 36-jährige Ed Bridges aus dem walisischen Cardiff kämpft gemeinsam mit einer Menschenrechtsgruppe gegen automatische Gesichtserkennung. Anlass war ein persönliches Erlebnis.

TR: Wo wird Gesichtserkennung bereits eingesetzt?

ED BRIDGES: Die South Wales Police hat sie bereits mindestens zwanzigmal benutzt. Auch die Metropolitan Police in London und die Polizei von Leicestershire arbeiten mit Gesichtserkennung. Es ist auf jeden Fall eine Technologie, die von den Polizeikräften in ganz Großbritannien immer mehr in Betracht gezogen wird.

Was weiß man über die Zuverlässigkeit?

Daten der South Wales Police zufolge waren 91 Prozent ihrer „Treffer“ in Wirklichkeit Fehler, wodurch 2451 Menschen fälschlich identifiziert wurden.

Wie sind Sie auf das Thema aufmerksam geworden?

Vor etwa einem Jahr wollte ich mir in der Innenstadt von Cardiff ein Sandwich kaufen. In der Haupteinkaufsstraße bemerkte ich einen Kleinbus mit der Aufschrift „Gesichtserkennungstechnologie“. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt wurde ich vermutlich selbst abgelichtet. Ein paar Monate später nahm ich an einem friedlichen Protest gegen eine Waffenmesse teil. Diesmal stand der Kleinbus auf der anderen Straßenseite, genau gegenüber dem Treffpunkt der Demonstranten. Es fühlte sich so an, als wolle die Polizei uns einschüchtern.

Haben Sie die Polizei gefragt, was mit Ihren Bilder passiert?

Tja, sie hat mir natürlich versichert, dass sämtliche Bilder von Personen, an denen sie nicht interessiert ist, nach relativ kurzer Zeit gelöscht werden. Das klingt sehr vage und erfüllt mich nicht mit Zuversicht, dass die Polizei die Daten transparent handhabt.

Was haben Sie dann unternommen?

Ich habe die Menschenrechtsgruppe Liberty kontaktiert. Wir waren besorgt, dass Gesichtserkennung auf eine Art und Weise eingesetzt wird, die das Versammlungsrecht gefährdet. Zuerst haben wir der South Wales Police schriftlich unsere Bedenken geschildert und sie aufgefordert, die Gesichtserkennung zu unterlassen. Sie antwortete uns wenig überraschend, dass sie mit dem Einsatz zufrieden sei und folglich nicht aufhören würde. Anfang Oktober haben wir dann die Unterlagen für eine richterliche Überprüfung eingereicht.

Foto: Matthew Horwood/Getty Images

Glauben Sie, dass sich die Polizei nicht an das geltende Gesetz hält?

Gesichtserkennung geschieht in einer rechtlichen Grauzone. Wenn ich zu einem Fußballspiel gehe, und die Polizei fotografiert oder filmt mich, muss sie mir Auskunft darüber geben, welches Material sie von mir hat und wie lange sie es aufhebt. Für die Gesichtserkennung gilt das nicht. Ich finde aber, beides muss gesetzlich auf derselben Stufe stehen. Wie kann sich die Öffentlichkeit darauf verlassen, dass die Daten richtig behandelt werden, wenn das nicht gesetzlich geregelt ist?

INTERVIEW: VERONIKA SZENTPÉTERY-KESSLER

USA

Ein Pflaster misst den Blutdruck

Der Hals ist für das Pflaster der beste Ort, um den zentralen Blutdruck der großen Hauptschlagader (links) zu messen – es funktioniert aber auch am Finger. Foto: Science Photp Library/Pixologicstudio; UC San Diego

Normalerweise wird der Blutdruck mit einer Manschette um den Oberarm gemessen. Sheng Xu von der University of California in San Diego reicht dafür ein Pflaster. Das ist nicht nur praktischer, sondern auch genauer: Manschetten ermitteln lediglich den Blutdruck der Arterien, und die verlieren im Laufe des Lebens an Elastizität, was die Werte verfälscht.

Das Pflaster hingegen misst den zentralen Blutdruck der großen Hauptschlagader (Aorta). Dies ist bisher nur mit aufwendigen Geräten möglich, die mit Sensoren auf der Haut die vom Herz erzeugten Druckwellen in den Gefäßen auswerten („Pulswellenanalyse“).

Im Gegensatz dazu arbeitet das Pflaster mit Ultraschall. Es ist so groß wie eine Briefmarke und besteht aus Silizium-Elastomeren. Diese senden Wellen aus, die Haut sowie Gewebe durchdringen und vom Blut reflektiert werden. Diese Reflexionen nimmt ein Sensor auf und leitet sie an einen Laptop weiter, der die Blutdruckdaten verarbeitet. Dafür muss das Pflaster mit dem Laptop und einer Stromquelle verbunden werden.

Xu zufolge könnte das Pflaster etwa zu Hause verwendet werden, um Patienten längerfristig zu überwachen: „Man kann ja nicht die ganze Zeit eine Blutdruckmanschette tragen.“

Eine jetzt im Magazin „Nature Biomedical Engineering“ veröffentlichte Studie zeigte bereits, dass das Pflaster den zentralen Blutdruck kontinuierlich und genau überwachen konnte. Das gelang an verschiedenen Stellen des Körpers. Am Hals war das Pflaster allerdings am effektivsten. In ihrer Veröffentlichung verglichen es die Forscher mit einem Gerät zur Pulswellenanalyse. Die Abweichungen zum Pflaster waren nur minimal. Als Goldstandard zur Messung des zentralen Blutdrucks gelten jedoch Katheter mit Sensor, die in der Nähe des Herzens eingeführt werden. Deshalb will Xus Team in einem nächsten Schritt das Pflaster mit solchen Kathetern vergleichen.

Der Kardiologe Eric Topol vom Scripps Research Institute in Kalifornien weist auf einen Zusatznutzen des Pflasters hin. Direkt an der Halsvene könnte es ebenfalls messen, wie viel Blut ins Herz fließt. Das könnte helfen zu erkennen, ob jemand dehydriert sei.

Xu, der in diesem Jahr von der US-Ausgabe der TR als einer der 35 Innovatoren unter 35 Jahren ausgezeichnet wurde, glaubt aber überdies noch an Anwendungen jenseits der Medizin. Das Pflaster könnte etwa helfen, kleine Risse in Flugzeugbauteilen zu finden.

RACHEL METZ