MIT Technology Review 12/2018
S. 3
Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

Es war immer ein Irrtum zu glauben, die Zukunft der deutschen Autoindustrie entscheide sich beim autonomen Fahren. Auch wenn viele Digital-Propheten im Umbau des Automobils zum rollenden Smartphone die größte Herausforderung der Branche sahen – das entscheidende Thema war ein anderes: die Elektromobilität.

Solange der Verbrennungsmotor das Herz der Fahrzeuge ist, können sich die Firmen recht sicher sein, dass niemand so leicht an ihnen vorbeikommt. Zu kompliziert ist seine Fertigung und Weiterentwicklung, als dass Google, Apple oder ein chinesischer Softwarekonzern wie Baidu ihn irgendwo einkaufen und die Intelligenz selbst in das Fahrzeug packen könnten.

Erst mit dem Elektroantrieb wird das Wissen der Branche obsolet. Erst mit ihm wird die Fahrzeug-Hardware im Prinzip zu einem Computergehäuse – und die Software-Konkurrenz mächtiger als je zuvor. Wer künftig keine Elektroautos baut, ist kein Autohersteller mehr. Kann dies das Ziel von VW, BMW oder Daimler sein?

Im Moment sieht es so aus. Auf Aktionärsversammlungen, in Interviews und auf Kongressen reden die Manager von Investitionen in entsprechende Modelle und ihrer Verantwortung für saubere Luft. Aber bis heute scheuen sie den entscheidenden Schritt, der für eine eigenständige Autoindustrie hierzulande nötig wäre: den Aufbau einer kompletten Batteriefertigung, von den einzelnen Zellen bis zum Akku-Gesamtsystem. Stattdessen bitten die Vorstände um mehr Zeit. „Die Transformation in der Geschwindigkeit und mit den Auswirkungen ist kaum zu managen“, mahnte diesen Herbst beispielsweise VW-Vorstand Herbert Diess in der „Süddeutschen Zeitung“. „So eine Industrie kann schneller abstürzen, als viele glauben wollen.“

Richtig ist, dass viel auf dem Spiel steht. An der Branche hängen direkt und indirekt geschätzte 1,8 Millionen Arbeitsplätze. Falsch aber ist, der Politik die Schuld zu geben, wenn der Schwenk nicht gelingt. Gerade deutsche Regierungen zeigen sich bis heute ungewöhnlich gnädig gegenüber den Autobauern. Ab Seite 28 schreiben wir, ob sie ihnen damit wirklich einen Gefallen getan haben. Und ab Seite 52, wie drei Österreicher den Konzernen davonstromern.

Ich begrüße Sie in unserer Dezember-Ausgabe.

Ihr

Robert Thielicke

Unterschrift