Technology Review Special 2018
S. 89
Politik/Gesellschaft

Nachruf

John Perry Barlow: Pionier des Netzaktivismus

Mit seiner Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace sorgte John Perry Barlow für Aufsehen. Bis zu seinem Tod kämpfte er dann weiter für Bürgerrechte im Internet.

John Perry Barlow war immer schon da. Zumindest seitdem ich im Netz unterwegs war. Als Songschreiber der Grateful Dead war er in den 60er- und 70er-Jahren Teil der Gegenkultur in den USA und kam bereits in den 80ern mit der Ur-Community The Well in Kontakt. Alarmiert von den ersten Polizei-Untersuchungen gegen Netznutzer in den USA gründete er 1990 mit dem Lotus-Gründer Mitch Kapor und dem Freie-Software-Entwickler und Unternehmer John Gilmore die Electronic Frontier Foundation. Die EFF war neben dem Chaos Computer Club die Ursuppe der globalen Digital-Rights-Bewegung, und das Ziel bei der Gründung bestand vor allem darin, betroffenen Netznutzern und Hackern juristischen Beistand zu geben und vor Gericht gegen schlechte Gesetze und ihre Auswirkungen zu kämpfen. Mittlerweile ist die EFF nicht nur die älteste, sondern auch die mit Abstand größte Digital-Rights-Organisation in den USA.

Foto: Lindsay Brice/ Getty Images

Berühmt aber wurde Barlow vor allem mit einem Text, den er 1996 verfasste und der ihn bis an sein Lebensende begleitete: Die „Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace“, die er wortgewaltig auf dem World Economic Forum in Davos vortrug: „Regierungen der industriellen Welt, ihr müden Riesen aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, dem neuen Zuhause des Geistes. Als Vertreter der Zukunft bitte ich euch aus der Vergangenheit, uns in Ruhe zu lassen. Ihr seid nicht willkommen unter uns. Ihr habt keine Souveränität, wo wir uns versammeln.“

Es war eine Wutrede, eine improvisierte Antwort auf die ersten Versuche, das globale Netz durch nationale Gesetze zu bändigen – den damals gerade in den USA beschlossenen Telecommunications Act. Ich bin John Perry einige Male begegnet, vor allem im Rahmen von Chaos-Communication-Kongressen. Zehn Jahre nach seinem Davos-Auftritt habe ich ihn in einem meiner ersten Netzpolitik-Podcasts dazu interviewt. Ihm war die improvisierte Rhetorik des Textes etwas peinlich, aber damals hatte er nicht mit so einer Verbreitung gerechnet. Der Text wurde zum Manifest der Techno-Utopisten mit stark libertärer Färbung, ein Argument gegen jegliche Regulierungsversuche. Barlow sagte später, so extrem habe er das nicht gemeint. Er wollte deutlich machen, dass das Netz eine andere Art von Gesetzgebung brauche als die analoge Welt. Er wünschte sich globale Ansätze, in denen Menschenrechte im Vordergrund standen. Und doch sah Barlow schon spätere Debatten wie die um Netzsperren im Rahmen der Zensursula-Debatte voraus.

John Perry war ein utopischer Mensch, der viele durch seine Wortgewalt und auch durch seinen Charme und Freundlichkeit inspirierte, mit dem man sehr differenziert über Höhen und Tiefen der digitalen Welt diskutieren konnte. Und der trotzdem immer wieder dafür warb, das Gute nicht aus den Augen zu verlieren und sich für eine positive Zukunft einzusetzen.

Ich hätte ihn gern noch mal zum 20. Jubiläum seines Manifests interviewt. Mich hätte interessiert, ob die Dominanz und Marktkonzentration einiger weniger Plattform-Player wie Facebook und Google ihn zu einer anderen Sichtweise gebracht hätte und wie seine Antwort geklungen hätte. Schließlich haben wir mittlerweile ein anderes Netz und eine andere Debatte. Wenige Plattformen kontrollieren weite Teile des Netzes. Die Datenschutz-Grundverordnung auf EU-Ebene ist ein Weg, gegen die Macht vorzugehen und Grundrechte der Nutzer zu stärken. Ich kann mir vorstellen, dass er diesen europäischen Weg, wenn auch nicht im Detail, sondern allgemein, als zielführend betrachtet hätte. Doch die letzten drei Jahre verbrachte er im Krankenbett und im Rollstuhl, für Reisen fehlte ihm die Kraft. Am 7. Februar 2018 starb er.

 

Markus Beckedahl ist Gründer und Chefredakteur von netzpolitik.org sowie Gründer der Netzkonferenz re:publica .