Aus Spaß wird Ernst
Adam Alter erklärt, warum Technologie süchtig macht, und was für uns daraus folgt.
Dass Facebook, Instagram und Snapchat gerade für Kinder und Jugendliche eine verhängnisvolle Sogwirkung entfalten, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Schließlich kritisieren immer mehr ehemalige Entwickler und Investoren aus dem Silicon Valley die manipulativen Methoden, mit denen die User dieser Dienste möglichst lange am Bildschirm gehalten werden.
Mit „Unwiderstehlich“ liefert der Sozialpsychologe Adam Alter, der an der New York University Marketing lehrt, den notwendigen Hintergrund zu dieser wichtigen Debatte.
Dafür räumt der Autor zunächst ein Missverständnis aus: Dass Sucht ausschließlich etwas mit Drogen zu tun hat. „Wir neigen dazu, Sucht bestimmten Menschen mit bestimmten Anlagen zuzuschreiben – jenen, die wir als Süchtige abstempeln“, schreibt Alter. Doch das sei ein Trugschluss. Sucht entstehe „vor allem aus einer Mischung aus Umwelteinflüssen und Umständen“, meint Alter. „Die neuen Süchte kommen ohne die Einnahme von Substanzen aus. Sie führen dem Organsystem keine Chemikalien zu, produzieren aber dieselben Wirkungen, indem sie die Nutzer fesseln, weil sie so gut gemacht sind.“
Was genau dieses „gut gemacht“ wirklich heißt und wie die „Bausteine der Verhaltenssucht“ funktionieren, erklärt der Autor ausführlich im zweiten Teil des Buches: Er erzählt vom Verhaltensforscher Michael Zeiler, der bei Fütterungsversuchen an Tauben herausfand, dass seine Versuchstiere „wie kleine gefiederte Spieler“ immer und immer wieder auf Knöpfe in ihren Käfigen drückten, wenn ihre Aktion nur in 50 bis 70 Prozent der Fälle zu einer Futterausgabe führte. Er schildert, wie die litauische Psychologin Bluma Zeigarnik eher zufällig darauf gestoßen ist, warum sich der Kellner in einem kleinen Wiener Café die Bestellungen seiner Gäste „mit nahezu übermenschlicher Klarheit merken konnte“: Jede Order war für den Kellner ein kleiner Cliffhanger, der sich auflöste, sobald das richtige Essen beim richtigen Gast angekommen war. Und er lässt Essena O’Neill zu Wort kommen, ein junges Model aus Australien, das bereits eine halbe Million Follower auf Instagram hatte, als sie sich entschied, die Wahrheit hinter ihren Posts aufzudecken.
Das ist interessant und unterhaltsam, zeigt aber auch, dass rund um die Verhaltenssucht und die zugrunde liegenden psychologischen Mechanismen noch viele Fragen offen sind. Das gilt leider auch für den dritten Teil des Buches, in dem Alter unseren Umgang mit süchtig machender Technologie diskutiert. Denn eine funktionierende Lösung hat auch er nicht parat. Er empfiehlt zwar das Pavlok-Armband, das seinem Nutzer einen milden elektrischen Schock versetzt, wenn der zum Beispiel zu lange Zeit auf Facebook verbringt. Doch ob noch mehr Technik hilft, darf stark bezweifelt werden. Dabei müsste dringend ein Ausweg gefunden werden, denn die technische Entwicklung ist längst nicht ausgereizt. „Wenn zwischenmenschliche Beziehungen schon unter der bloßen Anwesenheit von Smartphones und Tablets leiden, wie werden sie dann nur die einbrechende Welle immersiver Virtual-Reality-Erlebnisse überstehen?“, fragt Alter. Wolfgang Stieler