MIT Technology Review 3/2018
S. 104
Meinung
Bücher

Aus Spaß wird Ernst

Adam Alter erklärt, warum Technologie süchtig macht, und was für uns daraus folgt.

ADAM ALTER: „UNWIDERSTEHLICH“ Berlin Verlag, 368 Seiten, 22 Euro

Dass Facebook, Instagram und Snapchat gerade für Kinder und Jugendliche eine verhängnisvolle Sogwirkung entfalten, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Schließlich kritisieren immer mehr ehemalige Entwickler und Investoren aus dem Silicon Valley die manipulativen Methoden, mit denen die User dieser Dienste möglichst lange am Bildschirm gehalten werden.

Mit „Unwiderstehlich“ liefert der Sozialpsychologe Adam Alter, der an der New York University Marketing lehrt, den notwendigen Hintergrund zu dieser wichtigen Debatte.

Dafür räumt der Autor zunächst ein Missverständnis aus: Dass Sucht ausschließlich etwas mit Drogen zu tun hat. „Wir neigen dazu, Sucht bestimmten Menschen mit bestimmten Anlagen zuzuschreiben – jenen, die wir als Süchtige abstempeln“, schreibt Alter. Doch das sei ein Trugschluss. Sucht entstehe „vor allem aus einer Mischung aus Umwelteinflüssen und Umständen“, meint Alter. „Die neuen Süchte kommen ohne die Einnahme von Substanzen aus. Sie führen dem Organsystem keine Chemikalien zu, produzieren aber dieselben Wirkungen, indem sie die Nutzer fesseln, weil sie so gut gemacht sind.“

Was genau dieses „gut gemacht“ wirklich heißt und wie die „Bausteine der Verhaltenssucht“ funktionieren, erklärt der Autor ausführlich im zweiten Teil des Buches: Er erzählt vom Verhaltensforscher Michael Zeiler, der bei Fütterungsversuchen an Tauben herausfand, dass seine Versuchstiere „wie kleine gefiederte Spieler“ immer und immer wieder auf Knöpfe in ihren Käfigen drückten, wenn ihre Aktion nur in 50 bis 70 Prozent der Fälle zu einer Futterausgabe führte. Er schildert, wie die litauische Psychologin Bluma Zeigarnik eher zufällig darauf gestoßen ist, warum sich der Kellner in einem kleinen Wiener Café die Bestellungen seiner Gäste „mit nahezu übermenschlicher Klarheit merken konnte“: Jede Order war für den Kellner ein kleiner Cliffhanger, der sich auflöste, sobald das richtige Essen beim richtigen Gast angekommen war. Und er lässt Essena O’Neill zu Wort kommen, ein junges Model aus Australien, das bereits eine halbe Million Follower auf Instagram hatte, als sie sich entschied, die Wahrheit hinter ihren Posts aufzudecken.

Das ist interessant und unterhaltsam, zeigt aber auch, dass rund um die Verhaltenssucht und die zugrunde liegenden psychologischen Mechanismen noch viele Fragen offen sind. Das gilt leider auch für den dritten Teil des Buches, in dem Alter unseren Umgang mit süchtig machender Technologie diskutiert. Denn eine funktionierende Lösung hat auch er nicht parat. Er empfiehlt zwar das Pavlok-Armband, das seinem Nutzer einen milden elektrischen Schock versetzt, wenn der zum Beispiel zu lange Zeit auf Facebook verbringt. Doch ob noch mehr Technik hilft, darf stark bezweifelt werden. Dabei müsste dringend ein Ausweg gefunden werden, denn die technische Entwicklung ist längst nicht ausgereizt. „Wenn zwischenmenschliche Beziehungen schon unter der bloßen Anwesenheit von Smartphones und Tablets leiden, wie werden sie dann nur die einbrechende Welle immersiver Virtual-Reality-Erlebnisse überstehen?“, fragt Alter. Wolfgang Stieler

Internet

Gute alte Zeit

Das Internet ist seit Jahrzehnten abgeschaltet. Reiner sammelt kaputte Laptops und bringt sie wieder zum Laufen. Dann entdeckt einer seiner Freunde eine verlassene Serverfarm in Holland. Sie machen sich auf den Weg, um zu erkunden, was seit Jahrzehnten keiner mehr gesehen hat: Dateien aus dem Internet. Und schon bald wird das verfallene Gelände zum Ausgangspunkt einer neuen Jugendbewegung.

Eigentlich ist die Science-Fiction in diesem Roman aber nur ein Vehikel: „Serverland“ ist ein Zukunftsroman über die Gegenwart. Die Pläne, Aktionen und das Verhalten der Jugendlichen fassen wie im Zeitraffer Träume, Ideen und Diskussionen der Online-Kultur zusammen. Präzise, lakonisch – und entlarvend. Wolfgang Stieler

Josefine Rieks: „Serverland“, Hanser, 176 S., 18 Euro (E-Book 13,99 Euro)

Astrophysik

Kurz die Welt erklärt

Mal schnell die ganz großen Fragen beantworten, das verspricht Neil deGrasse Tyson. Wie entstand unser Universum? Warum gibt es überhaupt Materie? Wie kam das Licht in die Welt? Der Autor ist Astrophysiker und Direktor des Hayden Planetarium am American Museum of Natural History, und geglückt ist ihm tatsächlich eine unterhaltsame Geschichte des Universums, jedenfalls in Anbetracht der durchaus komplexen Materie. In dem Bemühen, sie kurz und knapp zu halten, lässt Tyson aber leider immer wieder nötige Erklärungen unter den Tisch fallen. So muss man jene Zeit in nachdenken oder eine kurze Internet-Recherche investieren, die man beim Lesen eingespart hat. Allzu eilig also sollte es der Leser nicht haben. Aber das hat auch seinen Vorteil: Am Ende hat man die Zusammenhänge immerhin grob verstanden. Robert Thielicke

Neil deGrasse Tyson: „Das Universum für Eilige“, Hanser, 192Seiten, 17 Euro (E-Book 12,99 Euro)

Klassiker neu gelesen

Blaupause der Roboter-Apokalypse

Karel Čapek: R.U.R, Taschenbuch ab ca. 10 Euro, E-Book (englisch) kostenlos bei Project Gutenberg.

Man kennt Karel Čapek – wenn man ihn kennt – vor allem als Schöpfer des Wortes „Roboter“. In seinem Theaterstück „R.U.R. – Rossum’s Universal Robots“, das am 25. Januar 1921 in Prag seine Premiere hatte, tauchte der Begriff das erste Mal auf. Schon im folgenden Jahr kam das Stück an den Broadway, mit dem jungen Spencer Tracy in einer Nebenrolle als Roboter. Damit wurde das Wort auch im englischsprachigen Raum populär. Es geht auf das slawische „robota“ (Zwangsarbeit, Frondienst) zurück.

Doch mit der Reduktion auf diese Wortschöpfung tut man Čapek doppelt unrecht: Erstens ging sein Einfluss weit über diese Begriffsprägung hinaus. Der tschechische Journalist und Autor war siebenmal für den Literatur-Nobelpreis nominiert, starb aber schon 1938 im Alter von 48 Jahren an einer Lungenentzündung.

Und zweitens hatte gar nicht er, sondern sein älterer Bruder Josef den Begriff erfunden. Das stellte Karel Čapek selbst in einem Brief an das Oxford English Dictionary klar: „Ich weiß nicht, wie ich diese künstlichen Arbeiter nennen soll“, habe er seinem Bruder geklagt. „Ich könnte sie Labori nennen, aber das scheint mir etwas gekünstelt.“ Josef, seinerzeit bekannter Maler und Autor, murmelte, einen Pinsel im Mund: „Nenn sie halt Roboter.“

Mit R.U.R. lieferte Čapek die Blaupause für das bis heute beliebte Genre der Robot-Apokalypse. Der Dreiakter spielt um das Jahr 2000 in einer Fabrik, die seelen- und willenlose Arbeiter am Fließband herstellt. Sie haben nichts mit den Blechkameraden zu tun, mit denen Roboter später assoziiert wurden, sondern bestehen aus Fleisch und Blut. Äußerlich sind sie nicht von Menschen zu unterscheiden. In heutiger Terminologie wären sie also eher „Replikanten“ oder „Androiden“. Die Geschöpfe verbreiten sich schnell und dominieren die Weltwirtschaft. Doch die Versuche, sie intelligenter und effizienter zu machen, münden darin, dass sie einen eigenen Willen entwickeln und ihre Schöpfer umbringen.

Isaac Asimov fand das Stück zwar fürchterlich, aber seine berühmten drei Robotergesetze dürften eine direkte Reaktion auf Čapeks marodierende Roboterbanden gewesen sein. GREGOR HONSEL