MIT Technology Review 4/2018
S. 67
TR Mondo

Puerto Rico

Krypto-Utopia in der Karibik

Will eine Krypto-Gesellschaft auf Puerto Rico gründen: Bitcoin-Milliardär Brock Pierce. Foto: Jason Henry/ NYT/Redux/ Laif

Auf der Karibikinsel Puerto Rico läutet Brock Pierce die „Krypto-Zukunft“ ein. Der einstige Kinderdarsteller fungiert als Direktor der Bitcoin Foundation und Chef unzähliger Unternehmen rund um die virtuelle Währung. Unter den Besitzern von Kryptowährung zählt er zu den reichsten Männern. Sein aktuelles Projekt: eine neue Gesellschaft, deren Wirtschaft vollständig auf Bitcoins und auf Blockchain-Operationen beruht. Alle Verträge in dieser neuen Gesellschaft sollen öffentlich sein. Eine Milliarde Dollar will Pierce zur Verfügung stellen, damit seine Krypto-Utopie mit dem Namen „Sol“ (spanisch für Sonne) auf der Insel Wirklichkeit wird. „Mitgefühl, Respekt und finanzielle Transparenz“ sind für ihn die zentralen Begriffe, die das Projekt definieren.

Und es sieht ganz so aus, als könnte die Utopie schon bald Wirklichkeit werden. Immer mehr Unternehmer aus der Bitcoin- und Blockchain-Welt Kaliforniens verlegen ihren Wohnsitz nach Puerto Rico. Die Insel, die den USA angegliedert ist, ohne ein vollwertiger Bundesstaat zu sein, hat gleich mehrere Vorteile für die Superreichen: Wer dort lebt, zahlt keine föderale Einkommensteuer, keine Kapitalgewinnsteuer und weniger Unternehmenssteuern als in den restlichen Vereinigten Staaten. Trotzdem können die Bewohner die US-Staatsangehörigkeit behalten.

Außerdem sind große Anwesen derzeit günstig zu haben, seit die Insel und ihre Wirtschaft im vergangenen September durch den Wirbelsturm „Maria“ schwer angeschlagen wurden. Und genau nach solch einem Ort suchen die Krypto-Unternehmer.

Noch diskutieren die Neuankömmlinge, die sich zum Großteil im Hotel Monastery einquartiert haben, ob sie sich im historischen Zentrum der Inselhauptstadt San Juan niederlassen sollen oder eine eigene Stadt gründen wollen. Ein ideales Gelände für eine Neugründung wäre das mehr als 3600 Hektar große Areal der ehemaligen Basis der US-Marine in Roosevelt Roads. Es verfügt über zwei Tiefseehäfen und einen Flugplatz.

„Sie haben noch nie gesehen, dass eine Branche einen Ort so stark beeinflusst, wie das hier der Fall sein wird“, prophezeit CNET- und VideoCoin-Gründer Halsey Minor, der sich bereits auf Puerto Rico eingefunden hat. Die lokalen Behörden stehen den Neuankömmlingen und ihrem Projekt offen gegenüber. Die Verhandlungen über eine Bank für Bitcoins sind weit fortgeschritten. Gouverneur Ricardo Rosselló hat sich als Redner auf dem Blockchain-Summit „Puerto Crypto“ Mitte März angekündigt.

Unternehmer, die schon länger die Vorteile der Inselsteuergesetzgebung genießen, sind hingegen nicht allzu begeistert über die Pläne der Krypto-Anhänger. „Sie haben mich angerufen und erzählten mir, dass sie 100000 Hektar kaufen wollen, damit sie eine eigene Stadt auf Puerto Rico gründen können. Ich kann mich daran nicht beteiligen“, sagte Robb Rill, ein Unternehmer aus der Welt der Hedgefonds, gegenüber der „New York Times“. Andere Einheimische zitiert die US-Presse mit kritischen Worten über den „Krypto-Kolonialismus“. Ihre Insel solle keine Spielwiese für „Superreiche“ werden.

Pierce weiß um diese Vorbehalte. „Ich mache mir Sorgen, dass die Menschen denken, wir kommen nur nach Puerto Rico, um die Steuern zu umgehen.“ Das sei nicht der Fall. Es gehe vielmehr um „einen Platz an dem die Menschen frei sind, zu erfinden“.

REINER WANDLER

GROSSBRITANNIEN

Warum sich Londons Ärzte gegen einen besseren Gesundheitsservice wehren

Ali Parsa hat Babylon Health 2013 gegründet. Foto: Babylon Health

In England haben zwischen 2010 und 2016 rund 500 Hausarztpraxen geschlossen. Das bedeutet für mittlerweile 20 Prozent der Patienten eine Wartezeit von mehr als sieben Tagen, wenn sie einen Arzt konsultieren wollen. Vor diesem Hintergrund verwundert es sehr, dass ein neuer Service des britischen National Health Service (NHS) auf so viel Kritik seitens der niedergelassenen Mediziner stößt.

Der bisher nur in London angebotene App-Service „GP at Hand“ vermittelt Patienten nach eigenen Angaben eine Videoberatung durch einen Allgemeinmediziner in weniger als zwei Stunden. Der Vorteil dieser Konsultation per Smartphone ist, dass sich die Aufzeichnung später beliebig oft abspielen lässt. Eventuell auszustellende Rezepte werden ebenfalls übers Internet an die zuvor mit dem Patienten gemeinsam ausgewählte Apotheke geschickt. Für den Patienten fallen durch die vom NHS zugelassene App außerdem keinerlei Kosten an. Sollte der Patient trotz allem einen persönlichen Termin mit einem Arzt benötigen, kann auch dies über die App veranlasst werden.

Für die technische Umsetzung hat sich der National Health Service mit dem 2013 gegründeten britischen Start-up Babylon Health zusammengetan. Die App des Unternehmens bietet den Nutzern unter anderem einen Chatbot für erste medizinische Auskünfte. Gründer Ali Parsa glaubt, dass sich damit viele Anfragen bereits erledigen lassen und die Patienten dann gar keinen Arzttermin mehr benötigen. Darüber hinaus kommen die Patienten in den Nutzen weiterer Angebote: Auch Testergebnisse sowie Daten aus dem Selbstmonitoring durch Fitnesstracker lassen sich in die Patientenakte integrieren.

„GP at Hand“ wurde Ende vorigen Jahres vom Lillie Road Health Centre, einer Praxis von Allgemeinmedizinern im Westen Londons, gestartet. In den ersten Monaten vervierfachte das Ärztezentrum mit fünf Anlaufstellen im Stadtzentrum seinen Patientenstamm.

Weniger gut gefiel das jedoch all jenen Praxen, die eine Abwanderung fürchten müssen. Da die Arztpraxen vom National Health Service eine Pauschale für jeden registrierten Patienten erhalten, kritisiert Helen Stokes-Lampard, Vorsitzende des Royal College of General Practitioners, die Online-Services würden sich die „Rosinen herauspicken“. Den traditionellen Praxen gingen dadurch die jüngeren und „gesünderen“ Klienten verloren, während ihnen die älteren, gebrechlichen und chronisch kranken Patienten blieben. In der Tat sind 79 Prozent der beim Lillie Road Health Centre gemeldeten Patienten zwischen 20 und 39 Jahre alt. Gerade viele der anspruchsvolleren Fälle scheinen vom Service durch Babylon Health ausgeschlossen zu sein: Menschen mit psychischen Problemen, Demenz, komplexen Nöten oder an ihrem Lebensende. Auch Frauen, die schwanger sein könnten, sowie Drogenabhängige und des Weiteren ältere, gebrechliche Personen können den Dienst nicht nutzen.

Mobasher Butt, Partner bei „GP at Hand“, verteidigt den Service. Der Londoner Mediziner glaubt, dass – entgegen aller Einwände – ältere Patienten ebenfalls von der Technologie profitieren könnten. Und zwar gerade jene, die aus diversen Gründen Schwierigkeiten haben, eine örtliche Praxis aufzusuchen: „Für den Großteil der Patienten, egal ob alt oder jung, ist unser Angebot eine angemessene Methode der ärztlichen Versorgung.“

INGE WÜNNENBERG