MIT Technology Review 4/2018
S. 12
Aktuell

Interview

„Menschen basteln sich ihren Glauben zusammen“

Der Soziologe Paul McClure promoviert an der Baylor University in Texas über den Einfluss des Internets auf die Religion. Eine entsprechende Studie ist kürzlich im „Journal for the Scientific Study of Religion“ erschienen (DOI: 10.1111/jssr.12365). Foto: Privat

TR: Sie haben den Einfluss des Internets auf religiöses Verhalten untersucht. Was waren Ihre Ergebnisse? Je stärker die Internetnutzung, desto weniger Gebete, Gottesdienstbesuche und persönliche Bedeutung der Religion. Außerdem fördert das Netz eine Art „Herumbasteln“ mit verschiedenen religiösen Überzeugungen und Praktiken – selbst wenn diese im Widerspruch zu den traditionellen Lehrmeinungen stehen. Die Menschen können mehrere Religionen gleichzeitig praktizieren oder sich Glaubenssätze herauspicken und sich damit ihren eigenen Glauben maßschneidern. Das Netz hat allerdings keinen Einfluss darauf, für wie spirituell sich die Leute einschätzen.

Woher wissen Sie, dass das Netz wirklich die kausale Ursache dafür ist?

Das ist natürlich immer schwer zu sagen, aber es scheint Hand in Hand zu gehen. Ich vergleiche Nutzer sozialer Medien mit Nichtnutzern. Außerdem nutze ich Daten aus drei verschiedenen Befragungen für eine Langzeitstudie. Dabei zeigte sich, dass Nutzer sozialer Medien zu einem späteren Zeitpunkt mit größerer Wahrscheinlichkeit dieses Rosinenpicken zeigen als Nicht- oder Wenignutzer.

Woran mag das liegen?

Möglicherweise daran, dass Digitaltechnik es Individuen ermöglicht, sich von großen sozialen Institutionen wie der Religion zu entfernen. Man braucht nicht mehr in die örtliche Kirche oder Synagoge zu gehen, sondern kann Dinge anderswo einfacher nachschlagen.

Wie passt das zu dem Eindruck, dass sich religiöser Fundamentalismus – sowohl auf christlicher als auch auf islamischer Seite – in den letzten 10 bis 15 Jahren verstärkt hat?

Das mag stimmen, aber es dürfte eine Minderheit sein. Es gibt Leute, die sind empfänglicher für die Radikalisierung und Verstärkung ihres Glaubens, weil sie sich nur mit ähnlich denkenden Menschen zusammentun. Aber im Großen und Ganzen sind die Leute heute einer größeren Vielfalt an Ideen ausgesetzt.

Den Effekt einer Filterblase oder einer Echokammer bestätigt Ihre Forschung also nicht?

Ja, zumindest im Moment.

Wie geht es weiter mit der Religion?

Ich sehe keine geradlinige Säkularisation, die jede Religion und jeden Glauben hinter sich lässt. Religion wird weiterleben, aber es wird einen Effekt auf religiöse Institutionen geben. INTERVIEW: GREGOR HONSEL

Raumfahrt

Regenwürmer überleben in simulierter Marserde

Hart im Nehmen: Regewürmer überleben in Mars-Erde. Foto: Wieger Wamelink

Der niederländische Ökologe Wieger Wamelink von der Universität Wageningen hat es geschafft, Regenwürmer in simuliertem Marsboden anzusiedeln. Der Wissenschaftler forscht seit mehreren Jahren an der Frage, wie Kolonisten auf dem Mond oder Mars sich selbst nachhaltig ernähren können. Die ersten vorläufigen Ergebnisse bezeichnete er als „sehr ermutigend“.

Die simulierte Marserde, die Wamelink verwendet, wurde ursprünglich entwickelt, um die Mars-Sonde Phoenix zu testen. Ein ähnliches, verbessertes Gemisch wird seit 2017 vom NASA-Spin-off Martian Garden verkauft. Die Erde besteht im Wesentlichen aus feingemahlenem Gestein der Mojave-Wüste, das mit Eisenoxid, Magnesiumoxid, Sulfaten und Silikaten versetzt wurde. Der Spaß ist allerdings nicht billig. Um diese Erde kaufen zu können, initiierte Wamelink deshalb eine Crowdfunding-Kampagne.

Für das Experiment mit den Würmern reicherte der Forscher das Gemisch mit Gülle an. „Leider hatten wir vergessen, den Mist zu sterilisieren“, schreibt Wamelink in seinem Blog. „Die Wirkung wurde innerhalb weniger Tage deutlich. Sofort begannen Pilze zu wachsen. Wir haben sie sofort entfernt. Das deutet darauf hin, dass Gülle mehr als nur Nährstoffe enthält.“ Ein weiterer Nachteil der Gülle sei, dass sie kleine Fliegen anziehe. „Ein Vorteil des Mars ist“, kommentiert der Forscher trocken, „dass man dort nicht unter Fliegen leidet.“ WOLFGANG STIELER