MIT Technology Review 5/2018
S. 10
Aktuell

Die Trennungs-Künstler

China nimmt kaum noch Müll aus dem Ausland an. Nun sitzen Deutschland und viele weitere Länder auf Millionen Tonnen Kunststoffabfall. Michael Hofmann freut das. Er hat eine Technologie entwickelt, die daraus einen gut bezahlten Wertstoff macht.

Geschredderte Fischernetze aus Polyamid – vor und nach der Reinigung. Foto: Ecophoenixx

Michael Hofmann fischt in einem meterhohen Müllberg herum. Er findet Margarinedosen, Joghurtbecher, Wurstpackungen, verdreckte Planen. Hofmann liebt solchen Kunststoffmüll. Der Verfahrenstechnik-Ingenieur hat mit seiner Firma FVH Folienveredelung Hamburg eine Technik entwickelt, die es erlaubt, das Zeug im großen Stil zu recyceln – wie der 59-Jährige sagt, in annähernd derselben Qualität wie neuer Kunststoff.

Besonders gefragt sind solche Verfahren seit einer Entscheidung in Fernost. Am 18. Juli 2017 teilte China mit, bald keinen Plastikmüll mehr zu importieren. Bislang war das Reich der Mitte die Müllhalde der Welt. Allein Deutschland verschiffte 2016 rund 560000 Tonnen Kunststoffmüll nach China – knapp ein Zehntel des gesamten hierzulande produzierten Kunststoffabfalls.

Der China-Export war bequem. Tausende Unternehmen nahmen sich des Mülls dankbar an. Bis Videos von Kinderhänden auftauchten, die mit Scheren Etiketten ausschnitten, um sortenreine Abfälle zu bekommen. Immense Müllmengen landeten dennoch in der Natur.

Damit ist jetzt Schluss. Doch wohin mit all dem Müll? In vielen Ländern landet er auf der Deponie, in Deutschland zu großen Teilen in Verbrennungsanlagen, oftmals als Ersatzbrennstoff in Zementwerken. Doch auch hier geht es nicht weiter wie bisher: Das neue Müllgesetz, das Ende des Jahres in Kraft tritt, erhöht die vorgeschriebene Recyclingquote stufenweise von einem Drittel auf bis zu 63 Prozent.

Für Hofmann ist das eine „Riesenchance“, denn seine Anlage kann auch verklebte Folien trennen, die bisher nicht zu recyceln waren. „Denken Sie an eine Gemüsetüte, auf der ein Preisschild klebt. Dieses Etikett verwirrt die Sortieranlage.“ Nahinfrarotsensoren erkennen zwar die Kunststoffsorte. Klebt aber ein Etikett am Beutel, landet dieser fälschlicherweise auf dem Müll statt im Recycling. „Unser Verfahren löst diese technologische Herausforderung“, sagt Hofmann.

Seine Anlage steht im Schweriner Industriepark. Im Innern riecht es streng nach organischem Material. Ratternd transportieren Förderbänder den Abfall zunächst in einen riesigen Schredder, wo er grob zermahlen wird. Metallteile wie Kronkorken oder Büroklammern purzeln in einen Behälter, der Kunststoff reist weiter ins Herzstück der Anlage: die „hydrodynamische Friktionswäsche“. Dort wird er gereinigt und zu ein bis zwei Zentimeter langen Schnipseln zerteilt, die blitzeblank aus der Anlage rieseln.

Die Friktionswäsche ist etwa so groß wie ein Lkw-Motor. Darin befinden sich zwei eng zusammenstehende stählerne Reinigungsscheiben, die gegenläufig in einer turbulenten Wasserströmung rotieren. Durch diesen engen Spalt muss der Plastikmüll hindurch, wobei er parallel ausgerichtet wird. Durch die Reibung löst sich das Etikett vom Beutel, ebenso andere hartnäckige Anhaftungen wie Lebensmittelreste. Selbst „Multi-Layer“-Kunststoffe wie Suppen- oder Chipstüten, die aus bis zu elf Materialien bestehen, kann die Anlage trennen. Die Wäsche benötige weder Chemikalien noch hohe Temperaturen, sagt Hofmann. Eine eigene Kläranlage bereite das Wasser auf.

Anschließend werden die Schnipsel in einem Rohrlabyrinth mit heißer Luft getrocknet. „Für den Durchsatz von 2500 Kilogramm pro Stunde müssen rund 200 Quadratmeter Oberfläche pro Sekunde getrocknet werden“, sagt Hofmann.

Nach dem Schreddern und Trocknen durchlaufen die Schnipsel verschiedene Sortierschritte. Hofmann hat sich auf Polyethylen-Folien fokussiert, den mengenmäßig größten Abfallstrom. Er verarbeitet sie zu Granulat und verkauft es. Daraus können dann wieder neue Produkte hergestellt werden, etwa Kabelkanäle. Pro Jahr erzeugt seine Anlage in Schwerin 18000 Tonnen Granulat. Bald will er sie auf 100000 Tonnen ausbauen.

Auf seine Wiederverwertungsquoten ist Hofmann stolz: „Bei Folien aus dem Grünen Punkt sind es etwa 60 Prozent, bei Folien aus der gewerblichen Sammlung bis zu 85 Prozent des Bruttogewichts.“ Viel mehr als bei herkömmlichen Verfahren, versichert Hofmann. „Eine Stretchfolie aus unserem Recyclinggranulat ist deutlich günstiger als eine aus Primärkunststoff.“

Henning Wilts vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie ist allerdings skeptisch: „Den Anspruch halte ich für gewagt.“ – „Trifft aber zu“, entgegnet Hofmann. Investoren scheint das zu überzeugen: Wöchentlich habe er Delegationen zu Besuch, die sich für seine Technologie interessierten. DANIEL HAUTMANN