Interview
» Wenn wir von Cyberkrieg sprechen, verschwenden wir Zeit «
TR: Professor Rid, Sie haben ein Buch über Cyberwar geschrieben, das sich hauptsächlich damit beschäftigt, dass es diesen Cyberwar eigentlich gar nicht gibt. Passt das in eine Zeit, in der viele Länder Cyberwar-Einheiten aufbauen?
Thomas Rid: Ich muss dazu sagen, dass die englische Version des Buches bereits vor fünf Jahren erschienen ist. Für die deutsche Ausgabe war die Frage, ob wir das Buch aktualisieren müssen, oder ob die These standhält.
Und? Gilt die These noch?
Meiner Meinung nach hält die These stand. Natürlich haben wir in den vergangenen Jahren eine Eskalation der Computernetz-Angriffe gesehen. Aber die Grundthese, dass die Metapher vom Cyberkrieg uns nur schadet, stimmt immer noch. Stattdessen sollten wir von drei Aktivitätsfeldern sprechen: Spionage, Sabotage und Subversion. Diese drei Felder sind geprägt durch nachrichtendienstliche Tätigkeiten, die heute vor allem über digitale Werkzeuge betrieben werden.
Wenn der Cyberwar gar nicht stattfindet, warum werden dann immer mehr Armeen dafür aufgerüstet?
Warum irgendjemand im Verteidigungsministerium sich entschieden hat, irgendwelche Einheiten zu gründen, darüber will ich gar nicht spekulieren. Mich interessiert die Frage, was tatsächlich passiert. Und was wir sehen, ist, dass es fast keine rein militärischen Operationen gibt, die wir analysieren können. Die sind entweder im kriminellen oder im nachrichtendienstlichen Bereich.
Aber ist Ihre Unterscheidung nicht ein bisschen akademisch? Schließlich geht es sehr oft auch um militärische Ziele wie zum Beispiel zu verhindern, dass der Iran Atomwaffen produzieren kann.
Mir geht es nicht um intellektuelle Akrobatik, sondern um Ressourcen. Die Frage ist, wie geben wir unser Geld aus? Wo schicken wir unsere Leute hin? Und die Antwort kann nicht in militärischen Metaphern liegen.
Warum nicht?
Wenn wir von Cyberkrieg sprechen, verschwenden wir Zeit und Geld, weil wir an der falschen Stelle investieren. Stattdessen müssten wir die Nachrichtendienste und die Polizeibehörden ausbauen. Vor allen Dingen müssen sie von ihrem Schlapphut-Image wegkommen und auch für Leute mit Tattoos und Hoodies attraktiv werden. Das ist wichtig, um die liberale Demokratie zu verteidigen. Ich meine, die Russen sind auf diesem Gebiet sehr aggressiv.
Kann denn die Antwort darin bestehen, ebenfalls zu solchen Mitteln zu greifen?
Es ist nicht akzeptabel für eine westliche Demokratie, zivile Ziele anzugreifen, die völlig unschuldig sind. Es hat auch in den 70er- und 80er-Jahren bereits Spionage und Sabotage-Aktionen seitens östlicher Dienste gegeben. Damals war es völlig klar, dass der Westen nicht im großen Stil Desinformation betreibt oder mit Lügen zurückschlägt. Es gibt einfach Methoden, die sind für eine Demokratie nicht akzeptabel. Das gilt auch für den digitalen Bereich. Dazu gehört zum Beispiel so etwas wie NotPetya (eine Schadsoftware; Anm. d. Red.) oder zurückzuhacken. Interview: W. Stieler