MIT Technology Review 8/2018
S. 86
Meinung

„Was haben wir uns gedacht, als wir Facebook WhatsApp kaufen ließen?“

Die Politik des großen Geldes macht es schwieriger denn je, Big Tech zu zähmen. Wettbewerbsanwalt Gary Reback über die Unterschiede zwischen Amerika und Europa.

TR: Gibt es in der Technologiebranche mittlerweile zu wenig Wettbewerb?

REBACK: Die Leute sagen gern, dass Tech-Imperien kommen und gehen, und nennen als Beispiel BlackBerry oder MySpace. Aber in Wahrheit war die Branche schon immer monopolisiert. Es gab AT&T, dann IBM, dann Microsoft. Was wir jetzt haben, sind sehr reife Märkte und Unternehmen wie Google, die seit Jahren den gleichen Marktanteil haben und nicht mehr im Wettbewerb stehen.

Sollen die großen Konzerne zerschlagen werden?

Als Kartellbehörde wollen Sie nicht gleich mit so etwas beginnen, sondern sich zunächst das wettbewerbswidrige Verhalten anschauen und versuchen, es zu beheben – und dann prüfen, ob der freie Markt zusätzlichen Wettbewerb unterstützt.

Und wenn nicht?

Historisch gesehen hat es immer gut funktioniert, wenn wir große Technologiemonopole hart angefasst haben. Man kann zu Recht behaupten: Die Auflösung von AT&T hat uns das Internet gebracht, und es gab offenbar eine Welle von Innovationen wie Handys und Pager, die durch das Monopol zurückgehalten wurde.

Warum haben Kartellverfahren die großen Technologiekonzerne bisher nicht getroffen?

Es gibt kein wirksames Mittel gegen deren wettbewerbswidriges Verhalten. Der europäische Fall, der am weitesten fortgeschritten ist, ist die Manipulation der Shopping-Suche durch Google. Das wurde zwar mit einer massiven Geldstrafe belegt, aber hat den Wettbewerb nicht wirklich wiederhergestellt.

Was ist die Lehre daraus?

Man muss wettbewerbswidriges Verhalten in solchen Märkten schnell stoppen. Wenn der Wettbewerb erst einmal weg ist, ist er weg. Hätte die EU schon 2007 das gemacht, was sie nun getan hat, dann hätten wir jetzt viele Shopping-Suchmaschinen, die Google auch generell mehr Konkurrenz machen würden.

So schnell scheint es aber nicht zu gehen. Der Microsoft-Prozess um den Internet Explorer etwa zog sich über Jahre hin.

Ja, aber das war Teil eines Gegenmittels. Die Leute fanden Microsoft damals großartig. Sie verstanden nicht, was los war. Aber wenn Sie E-Mails veröffentlichen und den CEO ins Kreuzverhör nehmen, dann wird alles freigelegt, sodass wir es analysieren können. Bei Google geht das im Moment nicht, weil Sie nicht wissen, was es alles mit Daten macht.

Werden wir trotzdem bald wieder einen richtungsweisenden Prozess sehen?

Ich bin nicht optimistisch. Alle großen Technologieunternehmen wissen, wie viel Schaden ein solcher Prozess anrichten könnte – und tun alles, um ihn zu vermeiden.

Sollten wir Konzerne abhalten, weitere Firmen zu kaufen?

Wir sollten uns diese Deals genau ansehen. Was in aller Welt haben wir uns gedacht, als wir Facebook WhatsApp kaufen ließen? Und Google, das bereits über die beste Kartentechnologie verfügte, Waze? Die Obama-Regierung hat die Warnungen nicht beachtet, dabei habe ich schon seit der Übernahme von DoubleClick durch Google im Jahr 2008 davor gewarnt.

Warum waren die USA nicht härter gegenüber diesen Firmen?

Diese haben viel Geld, um Politiker zu unterstützen oder die besten Lobbyisten einzustellen. Warum konnten wir in den Neunzigern Microsoft verfolgen, aber das fast identische Vergehen von Google heute nicht mehr?

Müssen wir uns also auf Europa verlassen, um die Web-Giganten zu regulieren?

Eine Möglichkeit für die USA wäre ein Außenseiter im Weißen Haus, der nicht den normalen Partei- und Wahlkampfprozessen verpflichtet ist. Genau das haben wir im Moment. Trump greift die AT&T-Time-Warner-Fusion an. Ich bezweifle, dass die Obama-Regierung das getan hätte. Aber wird dies zur Durchsetzung des Kartellrechts in der Technologiebranche führen? Wir wissen es nicht. INTERVIEW: MARTIN GILES