MIT Technology Review 8/2018
S. 12
Aktuell

Interview

„Die Anhäufung von Fehlern ist unvermeidlich“

Die Physikerin Hildegard Meyer-Ortmanns ist eine der beiden Organisatorinnen einer fünftägigen Konferenz an der Jacobs University Bremen, auf der sich Physiker, Informatiker und Biologen mit der Frage des Alterns auseinandersetzen.

TR: Was haben Physiker und Informatiker zum Thema Altern zu sagen?

Hildegard Meyer-Ortmanns: Biologen reagieren ja manchmal gereizt, wenn sie das Gefühl haben, dass Physiker sich in ihre Wissenschaft einmischen wollen. Darum geht es aber überhaupt nicht. Wir wollen die Erklärung von Altern in biologischen Begriffen nicht entwerten, sondern eher ergänzen, denn wir stellen andere Fragen, und die sind manchmal komplementär zu den Fragen, die Biologen stellen.

Welche denn?

Biologische Prozesse lassen sich beispielsweise als informationsverarbeitende Prozesse beschreiben. Diese Prozesse sind fehlerbehaftet. Natürlich werden Sie einwenden, es gibt ja biologische Reparaturprozesse, aber auch die enthalten wieder Ungenauigkeiten, die repariert werden müssen, und so weiter.

Andererseits können sich Lebewesen immer wieder nur endlich viel von Ressourcen wie Energie verfügbar machen. Die Frage ist also, ob langfristig insbesondere die verfügbare Energie ausreicht, um gleichzeitig lebenswichtige Funktionen aufrechtzuerhalten und die Fehlerrate vertretbar gering zu halten. Angesichts dieses Zielkonflikt ist die Anhäufung von Fehlern im Laufe der Zeit vermutlich unausweichlich. Das ist erst mal nur eine These, die noch nicht belegt ist, aber zur Themenwahl bei der Konferenz beigetragen hat.

Im Silicon Valley ist die Ansicht populär, dass Altern eine Art Fehler im biologischen Programm sei, das durch eine Art Patch geheilt werden kann. Dem würden Sie also widersprechen?

Wir behaupten nicht, man könne das Altern gar nicht aufhalten. Natürlich kann man allein durch einen gesünderen Lebenswandel das Leben verlängern – das ist trivial. Es ist auch vorstellbar, solch einen Effekt durch genetische Manipulation zu erreichen. Wir stellen uns aber die Frage, ob es nicht grundsätzlichen Prinzipien der Physik widerspricht, sich das Altern als komplett reversiblen Prozess vorzustellen und den Tod durch Altern zu vermeiden.

Das ist ja nun eine sehr abstrakte Diskussion. Hat die auch praktische Konsequenzen?

Es gibt durchaus konkrete Ansatzpunkte: Einerseits zeigen das Zytoskelett ebenso wie ganze Zellverbände glasartiges Verhalten. Wenn glasartige Materialien gestört werden, dauert die Relaxation in den ursprünglichen Zustand umso länger, je älter sie sind. Andererseits spielt das Zytoskelett eine wichtige Rolle bei neurodegenerativen Krankheiten. Hier deutet sich ein Zusammenhang zwischen Physik, Biologie und und Pathophysiologie an. Interview: Wolfgang Stieler

NEUROWISSENSCHAFT

Transplantierte Erinnerung

Das Verpflanzen von Erinnerungen gehörte lange ins Reich von Science-Fiction-Geschichten. Forschern von der University of California Los Angeles (UCLA) ist nun in Tierexperimenten offenbar genau das gelungen. Wie das Team von David Glanzman in einer Studie in „eNeuro“ (DOI: 10.1523/ ENEURO.0038-18.2018) berichtete, hatten die Forscher zunächst Meeresschnecken der Gattung Aplysia am Schwanz einige Male leichte Stromstöße verabreicht. Anschließend zogen sich diese Tiere bei einer Berührung für fast eine Minute zusammen, während Tiere ohne die Erfahrung von Stromstößen sich nur eine Sekunde lang zusammenzogen.

Meeresschnecke, Versuchstier mit Gedächtnis. Foto: Columbia University/ Wikipedia

In einem nächsten Schritt extrahierten die Forscher RNA aus dem Nervensystem der sensibilisierten Schnecken und injizierten die Erbgutmoleküle nicht geschockten Artgenossen. Diese zeigten nun plötzlich bei Berührungen ebenfalls die starke, lang anhaltende Rückzugsreaktion. Ein Kontrollexperiment ergab, dass tatsächlich die RNA die Erinnerungen codierte. Die RNA von Schnecken, die keine Stromstöße erhalten hatten, löste nach dem Verpflanzen keine Reaktion aus.

In weiteren Versuchen wollen die Forscher nun herausfinden, welche RNA-Arten die Erinnerungen genau codieren. Sie hoffen, mit diesem Wissen später etwa die verlorenen Erinnerungen von Alzheimer-Patienten wieder zugänglich machen zu können. VERONIKA SZENTPÉTERY-KESSLER