MIT Technology Review 1/2019
S. 88
Meinung
Bücher

Eine Scheibe Bier, bitte

Was kommt dabei raus, wenn ein Auto, ein Haufen Sensoren und ein neuronales Netz gemeinsam einen Roadtrip erzählen?

Den meisten Autoren reicht ein Stift, eine Schreibmaschine oder ein Computer. Ross Goodwin nutzte als Schreibgerät hingegen zwei Mietwagen mit Kameras, GPS-Sensoren und Mikrofonen sowie ein neuronales Netzwerk. Auf einer Fahrt von New York nach New Orleans erfasste eine Spracherkennung die Unterhaltung im Innenraum, machte sich eine Bilderkennungssoftware ihren Reim auf die unterwegs aufgenommenen Bilder, steuerte eine Datenbank Informationen über Geschäfte, Tankstellen und Schnellrestaurants entlang des Weges bei. All diese Daten flossen in ein neuronales Netz ein, das Goodwin zuvor mit 200 handverlesenen Büchern trainiert hatte. Aus einem „linguistischen Raum“ mit 36000 Dimensionen sollte die Software eine neue Art von Literatur generieren. Vorbild war Jack Kerouacs atemloser Reisebericht „On the Road“ von 1957.

Was sollte dabei schon schiefgehen?

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Wirtschaft

Digitale Ausbeutung

Der Kapitalismus begann mit einem Überschuss an maschineller Energie und menschlicher Arbeitskraft. Aus Millionen verarmten Landbewohnern wurde billiges Humankapital. Was früher die Arbeitskraft, so die These von Shoshana Zuboff, sind heute die persönlichen Daten – der „Verhaltensüberschuss“, wie die emeritierte Professorin der Harvard Business School es nennt. Die Folge ist gleich: Gewaltige Machtmonopole entstehen und damit einhergehend extreme soziale Ungleichheit. Ihr Werk ist nicht das erste zu diesem Thema. Der große Bogen und ihre zornige Forderung nach einer neuen Arbeiterbewegung machen es dennoch zu einer wertvollen Lektüre. Robert Thielicke

Shoshana Zuboff: „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“. Campus, 727 Seiten, 29,95 Euro (E-Book: 25,99 Euro)

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hirnforschung

Wo sitzt der Geist in der Materie?

Den Zusammenhang zwischen Geist und Materie im Detail zu klären, ist wohl die größte Herausforderung für die Hirnforschung. So schickt sich Neurowissenschaftler und Nobelpreisträger Eric Kandel denn an, die Brücke zu schlagen zwischen den physischen Grundlagen des Gehirns und dem Bewusstsein des Menschen. Um zu skizzieren, wie ein Gehirn im Idealfall arbeitet, geht er den Umweg über die wichtigsten Störungen wie Autismus, Schizophrenie und Depressionen. Obwohl das Geheimnis letztlich nicht gelüftet werden kann, gewährt das leicht verständliche Buch einen faszinierenden Einblick in die Arbeitsweise des Gehirns. inge wünnenberg

Eric Kandel: „Was ist der Mensch? Störungen des Gehirns und was sie über die menschliche Natur verraten“. Siedler, 368 Seiten, 30 Euro (E-Book: 24,99 Euro)

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Klassiker neu gelesen

Schöne alte Dystopie

Neben George Orwells „1984“ ist der Roman „Schöne neue Welt“ des Briten Aldous Huxley (1894–1963) die wohl einflussreichste Dystopie des 20. Jahrhunderts. Sie ist 1932 erschienen und schildert eine Welt, in der fünf verschiedene Menschenkasten in riesigen Fabriken gezeugt, geklont und konditioniert werden. Die sofortige Befriedigung aller materiellen und sexuellen Bedürfnisse ist Teil der Staatsräson, Gefühlskino und Drogen stellen die Menschen ruhig. Literatur und Geschichte sind verpönt, statt Religion gibt es einen Kult um Henry Ford. Eine kleine Gruppe von „Alpha plus“-Männern regiert diese Welt.

Neue Aktualität gewann das Buch Ende 2018 durch die Nachricht, dass in China angeblich genmanipulierte Kinder gezeugt wurden (siehe TR 13/2018, S. 54). Von Gentechnik konnte Huxley allerdings noch nichts wissen, bei ihm werden Embryos etwa durch Alkohol, Sauerstoffentzug oder Bestrahlung auf ihre künftige Rolle in der Gesellschaft getrimmt. Aber dies sind nur technische Details. Die eigentliche Frage ist: Was hat uns Huxley heute noch über die Folgen solcher Eingriffe zu sagen?