MIT Technology Review 1/2019
S. 60
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Japan

Die Daten-Händler

Bilderkennungssoftware analysiert, wann Kunden im Trial-Supermarkt ein Produkt tatsächlich in die Hand nehmen. Foto: Wolfgang Stieler

Backstage im Pausenraum präsentiert Projektmanager Tomohiro Uchiyama der internationalen Presse die Zukunft des Einkaufens: In dem 3746 Quadratmeter großen Supermarkt der Firma Trial im japanischen Fukuoka wird das Verhalten des Kunden nahezu lückenlos erfasst und pausenlos analysiert. Im Februar 2018 wurde er eröffnet, wenige Wochen nach Amazons Variante Amazon Go. 700 Kameras ermitteln die Laufwege und Blickrichtung der Kunden und behalten Regale im Auge.

Das System registriert, welche Plätze im Supermarkt besonders häufig frequentiert werden und welche Waren besonders begehrt sind. Stellenweise spielen die Ladenbetreiber auf Mini-Displays gezielt kleine Werbespots ein, wenn ein Bewegungsmelder Kunden registriert.

An anderen Regalen lassen sich die Preisschilder in Echtzeit verändern, um zu testen, welche Auswirkungen Rabattaktionen und Sonderpreise auf den Verkauf haben. An der Kühltheke hat Trial Kameras installiert, die die Blickrichtung der Kunden verfolgen, um zu sehen, welche Waren die Kunden anvisieren, dann aber vielleicht doch nicht in die Hand nehmen oder am Ende gar wieder zurücklegen.

Das zweite Herzstück der Anlage sind „smarte Einkaufswagen“ mit eingebauten Scannern, an denen die Kunden ihre Einkäufe gleich in das Kassensystem einbuchen können – vorausgesetzt, sie haben sich vorher mit der hauseigenen Kundenkarte eingeloggt. Liest ein Kunde ein Produkt ein, zeigt der Bildschirm dazu passende Angebote – fast wie beim Online-Shopping.

Ist der Kunde fertig mit seinem Einkauf, kann er den Laden verlassen, ohne sich an der Kasse anzustellen. Allerdings kontrollieren im Moment noch Angestellte am Ausgang mit einem raschen Blick, ob auch alles im Wagen registriert ist. Nur für den Fall, dass man vergessen hat, etwas einzuscannen, versteht sich.

Trotz Rabatt und damit verknüpften Sonderaktionen nutzt derzeit jedoch nur rund die Hälfte der Kunden die „smarten“ Funktionen des Supermarktes. „Der häufigste Grund dürfte sein, dass die Menschen lieber mit Bargeld bezahlen“, sagt Uchiyama.

Das Unternehmen verfolgt ehrgeizige Ziele: Innerhalb von drei Jahren will man insgesamt 60 Filialen in ganz Japan eröffnen und das gebündelte Know-how in einer „Plattform für den Einzelhandel“ vermarkten. Was auf den ersten Blick wie ein Albtraum für Datenschützer aussieht, ist praktisch jedoch keineswegs ein einziges Bespitzelungssystem. Jene 700 im Laden verbauten Kameras sind beispielsweise sogenannte Vieureka-Module von Panasonic. Die quadratischen Kästchen sind mit einer eingebauten Bilderkennung ausgerüstet, die nur noch ihre Ergebnisse nach draußen gibt: das Geschlecht und ungefähre Alter der gefilmten Person beispielsweise.

Die Informationen kann der Endkunde, also der Supermarkt, auf einer Cloud-Plattform abfragen, die die Daten der angeschlossenen Vieureka-Kameras empfängt und aufbereitet. Grundsätzlich ist es auch möglich, jedem von der Kamera erfassten Kunden eine ID zuzuordnen und ihn dann über den gesamten Laden zu verfolgen. Aus „Sorge um den Datenschutz“ ist diese Möglichkeit jedoch abgeschaltet.

WOLFGANG STIELER