MIT Technology Review 12/2019
S. 104
Fundamente
Jubiläum
Escherichia coli Bakterien sind die Lieblinge der Zellforscher. An ihnen haben sie die Grundlagen der Gentechnik erforscht. Foto: Shutterstock

Ein Gen macht Politik

Vor 50 Jahren isolierte Jonathan Beckwith das erste Gen aus Coli-Bakterien.

Wir schreiben das Jahr 1969. Der erste Mensch betritt den Mond, die USA befinden sich im Krieg mit ­Vietnam, in Woodstock feiert die Hippiebewegung ihren Höhepunkt. Und Jonathan Beckwith präsentiert in „Nature“ am 22. November das ­erste isolierte Gen. Was DNA ist, dass Gene die einzelnen Bausteine des Lebens codieren, dass sie sich in Doppelhelices in jedem Zellkern, in Bakterien und einigen Viren finden – all das ist längt bekannt. Aber niemandem war es bisher gelungen, ein ­einzelnes Gen aus der vollständigen DNA herauszutrennen.

Jonathan Beckwith isolierte das erste Gen und wurde darüber zum Aktivisten, der die Folgen der Genforschung hinterfragt.
Foto: Harvard Medical School

François Jacob und Jacques Monod hatten bereits den Nobelpreis für ihr Operon-­Modell entgegengenommen. Es erklärt, dass jedes Bakteriengen aus einer festen Abfolge dreier Elemente besteht, dem sogenannten Operon. Am ersten Teil dockt der Ablesemechanismus an, am zweiten Teil kann die Zelle durch Blocker verhindern, dass das Gen abgelesen wird – etwa wenn das ­Protein momentan nicht benötigt wird –, und der dritte Teil enthält den eigentlichen Bauplan für das Protein. Dieses Modell haben sie mit dem lac-Operon entwickelt. Es enthält den Code für ­Beta-Galaktosidase im Darmbakterium Escherichia coli. Das Enzym, das die Bakterien damit bauen, verdaut Milchzucker. Genau dieses Gen konnte Beckwith ein paar Jahre später an der Harvard-Universität in Boston isolieren. Die Publikation trägt den Namen „Isola­tion of Pure lac Operon DNA“. Und eine unscheinbare elektro­nenmikroskopische Abbildung des Gens, ein helles Fädchen auf grauem Grund, geht um die Welt. Zwar werden weder seine Methode noch das Gen selbst jemals biotechnologisch ­relevant werden – Erstere ist zu kompliziert, Letzteres zu unbedeutend. Dennoch war mit dieser Arbeit der erste Schritt in die Gentechnik gegangen. Auf einmal schien es erreichbar, Gene auszuschneiden, wiedereinzusetzen und das Erbgut nach Belieben zu manipulieren. Der Rest ist Gegenwartsgeschichte.