Technology Review Special 2019
S. 18
Verkehr
Fahrverbote

Auto-Stopp

In vielen deutschen Städten sind Fahrverbote bereits Realität. Aber handelt es sich dabei um mehr als Schaufensterpolitik?

Von Karl-Gerhard Haas

Seit 2007 sollen in Deutschland „Umweltplaketten“ den Schadstoffausstoß von Fahrzeugen signalisieren. Wesentlich für die von Rot bis Grün vergebenen Aufkleber ist der Feinstaubausstoß. Schon seinerzeit kam bei Besitzern relativ neuer Pkws Groll auf, denn ihre zum Teil erst zwei Jahre alten Diesel erfüllten zwar die damals beste Euro-3-Norm, bekamen aber trotzdem nur eine gelbe Plakette und durften kurz darauf in die ersten Innenstädte nicht mehr fahren. Ende 2019 gab es in 58 deutschen Städten und Regionen Umweltzonen, nur Neu-Ulm ließ vorläufig noch Fahrzeuge mit gelber Plakette in die Stadt. Manche Diesel-Fans kauften sich deswegen Pkws mit Euro 4 oder 5. Die kriegen eine grüne Plakette – und werden dennoch von immer mehr Städten ebenfalls ausgesperrt. Das Problem dabei ist weniger, dass die Kommunen von sich aus strenger werden. Stattdessen gaben 2018 reihenweise lokale Gerichte Umweltschüt­zern recht, die auf die Einhaltung von EU-Grenzwerten zur Luft­qualität geklagt hatten. 2019 mussten diese Urteile umgesetzt werden. Weitere dürften folgen – der Verein Deutsche Umwelthilfe (DUH) klagt in 39 Städten. Das neue Problem nach Feinstaub sind Stickoxide (NOX). Konkret gilt seit dem Jahr 2010 die EU-Luftqualitätsrichtlinie 2008/50/EG mit ihrer Änderung 2015/1480/EG bzw. ihre Überführung in deutsches Recht, die sich „39. Verordnung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz“ nennt. Auf dieser Grundlage forderten teils Anwohner per Gericht die Durchsetzung und Einhaltung der Grenzwerte, teils die DUH. Sie will sogar Ministerpräsidenten per Erzwingungshaft zum Umsetzen von Gerichtsurteilen bringen, ein – nicht bindendes – Gutachten des EuGH sieht dafür aber keine Rechtsgrundlage.

In mehreren deutschen Städten gelten bereits Diesel-Fahrverbote oder könnten noch kommen
Quelle: Autobutler.de

In den meisten deutschen Städten sind vorläufig nur einzelne Straßen betroffen. Nur in Stuttgart gilt das Verbot flächendeckend. In ihrer Not verfielen manche Kommunen auch auf abseitige Ideen – ein Teil der getroffenen Maßnahmen hat offensichtlich kosmetischen Charakter oder soll Autofahrer vergraulen. Wenn auf Durchgangsstraßen plötzlich Tempo 40 oder gar 30 gilt, schütteln nicht nur Fachleute den Kopf – fast alle Autos fahren dann in einem niedrigeren Gang, also mit höherer Drehzahl, und wegen der niedrigeren Geschwindigkeit laufen die Motoren für dieselbe Strecke länger. Emissionen lassen sich so kaum vermeiden – bestenfalls reduziert sich der Fahrtlärm. Andernorts wurden die Stadtväter auch schon mal kreativ, etwa in Stuttgart oder Kiel (siehe Grafik links). Insgesamt beschleicht den Beobachter bei der Recherche der Eindruck: Politik und Autoindustrie haben das Ausmaß des Problems mindestens ein Jahrzehnt lang verschlafen und sind jetzt unsanft erwacht. Ausbaden müssen es die Eigentümer älterer Diesel-Pkws – der Ruf dieser Antriebstechnologie scheint nachhaltig ruiniert. Dabei stellte das Fachblatt „auto motor und sport“ im Herbst 2019 fest: Die aktuellsten Diesel nach der Norm Euro 6d-Temp sind so sauber, dass sie nicht wesentlich zur Feinstaubentwicklung beitragen. Redakteur Dirk Gulde: „Selbst eine Feinstaub-Erhöhung in der Ansaugluft um das 20-Fache führt zu keinerlei Erhöhung der Ausstoßrate.“ Auch die Stickoxidwerte liegen nun auf dem Niveau, auf dem die Anwohner von Durchgangsstraßen sie schon vor Jahren gern gehabt hätten.