MIT Technology Review 3/2019
S. 62
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JAPAN

Springt Nippon vom Bargeld direkt zur Blockchain?

Illustration: Franziska Barczyk

Die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt hat eine teure Angewohnheit: überwiegend mit Bargeld zu zahlen. Die meisten japanischen Geschäfte akzeptieren nämlich keine Kredit- oder Debitkarten. Für Online-Einkäufe druckt man einen Barcode aus, bringt ihn ins Geschäft und bezahlt trotzdem bar. So summiert sich der Betrieb von Bargeldkassen, mehr als 200000 Geldautomaten und den nötigen Geldtransportern auf 18 Milliarden US-Dollar pro Jahr.

Kein Wunder, dass Premierminister Shinzo Abe den Anteil von bargeldlosen Zahlungen bis 2025 auf rund 40 Prozent steigern will. Steuervergünstigungen und Subventionen sollen Unternehmen zum Mitmachen animieren. Einige der größten Finanzakteure des Landes glauben jedoch, dass Japans Bargeld-Entwöhnung am schnellsten mithilfe der Bitcoin-Technologie gelingen wird.

So will etwa die Mitsubishi UFJ Financial Group (MUFG), die größte Bank des Landes, gemeinsam mit dem US-Unternehmen Akamai rechtzeitig zu den Olympischen Spielen in Tokio im kommenden Jahr ein Blockchain-basiertes Zahlungssystem aufbauen. Es soll alles von automatisierten Mautgebühren über Kartenzahlungen bis hin zu In-App-Käufen verarbeiten – und darüber hinaus verhindern, dass Japan Einnahmeverluste in Höhe von Hunderten Millionen Dollar hinnehmen muss, weil sein Finanzsystem nicht für die Transaktionen von Hunderttausenden ausländischen Besuchern gerüstet ist.

Das neue System hat in Tests mehr als eine Million Transaktionen pro Sekunde abgewickelt, mit jeweils maximal zwei Sekunden Verarbeitungszeit. Im Vergleich dazu erreicht Visa nur einige Tausend Kreditkarten-Transaktionen pro Sekunde und Bitcoin sogar nur sieben, die jeweils auch noch bis zu einer Stunde dauern.

Neben der MUFG wollen auch die Mizuho Financial Group und die SBI Holdings mitmischen. Erstere mit der digitalen Währung J-Coin, die schon diesen März für den Einzelhandel bereitstehen soll. Letztere mit „S Coin“, ebenfalls für den Einzelhandel.

Der Druck der Regierung und die geringe Konkurrenz durch Kreditkarten und andere elektronische Zahlungsmittel könnten sogar dafür sorgen, dass Japan existierende elektronische Zahlungsnetze überspringt und sich weiträumig für Blockchains entscheidet.

Es wäre ein Revival der besonderen Art. Denn Kryptowährungen waren Anfang der 2010er-Jahre in dem Land schon einmal sehr populär. In Tokio saß mit Mt. Gox die wichtigste globale Bitcoin-Handelsplattform. 2013 liefen 70 Prozent aller Bitcoin-Transaktionen über sie. Als allerdings Hacker Bitcoins im Wert von 450 Millionen US-Dollar erbeuteten und die Plattform zum Absturz brachten, prophezeiten japanische Medien schon das Ende der Kryptowährungen.

Man scheint aus der Entwicklung gelernt zu haben: Japan richtete eine von der Industrie geführte Selbstregulierungsorganisation für Kryptowährungen und im April 2017 das weltweit erste (und immer noch einzige) Lizenzierungssystem für Kryptobörsen ein. Die Financial Services Agency (FSA) nimmt die Kontrolle ernst und hat bereits mehrere Börsen zu Nachbesserungen bei der Sicherheit verdonnert. Akamais Technikvorstand Andy Champagne sieht jedenfalls alle Bedingungen dafür gegeben, dass Japan seine Liebesaffäre mit Bargeld bald beenden kann.

Yoriko Beal, Mitbegründerin des auf Blockchain-Start-ups spezialisierten Arbeitsplatzvermieters HashHub in Tokio, ist skeptischer. Denn existierende Kryptowährungen sind meist volatil, wenn sie nicht durch Yen oder Dollar auf einem Bankkonto gestützt sind. Sie sind schwer zu bedienen und vor Hackern zu schützen, und betrügerische Transaktionen können nicht rückgängig gemacht werden. Beal zufolge werde es darauf ankommen, ob sich die Technik als praktisch erweist, und nicht darauf, dass sie einen klangvollen Namen hat.

MIKE ORCUTT

USA

Essbare Baumwollsamen

Keerti Rathore will Baumwollpflanzen neben ihren weißen Fasern zu einem weiteren Exportschlager verhelfen: ihre Samen. Foto: Lacy Roberts/Texas A&M AgriLife

„Sie schmecken wie Kichererbsen“, sagt Keerti Rathore. Der Pflanzengenetiker von der Texas A&M University hat geröstete Baumwollsamen probiert. Sie wären eine bedeutende Ressource, um die Ernährung der Menschen zu sichern – insbesondere in den Baumwolle produzierenden Ländern in Asien und Afrika. Immerhin kommen auf jedes Kilogramm Baumwollfasern 1,65 Kilogramm Samen, die nährstoffreiche Proteine (23 Prozent) und Öle (21 Prozent) enthalten.

Genutzt werden sie bisher jedoch kaum, weil sie Gossypol enthalten, ein für Menschen giftiges Pigment, das Herz und Leber schädigt. Bisher müssen die Samen daher in Ölmühlen verarbeitet und vom Gossypol befreit werden. Aber auch dann sind nur die Öle zum Kochen und als Salatöl geeignet. Die Proteine im übrig bleibenden Samenmehl sind nur als Tierfutter nutzbar.

Das wollte Rathore ändern und der Baumwollpflanze neben ihren flauschigen weißen Faserbüscheln zu einem weiteren Exportschlager verhelfen. Auf gentechnischem Weg entwickelte der Genetiker eine neue Sorte, deren Samen weit weniger Gossypol enthalten, als der FDA-Grenzwert für den sicheren Verzehr festlegt. Im Oktober 2018 hat das US-Landwirtschaftsministerium USDA der neuen Sorte ULGCS (Ultra-Low Gossypol Cottonseed) ihren Segen erteilt. Rathore hofft, dass nun auch die Zulassungsbehörde FDA grünes Licht für den Anbau gibt.

Baumwollsamen haben von Natur aus schwarze Drüsen mit giftigem Gossypol (links). Eine neue Sorte enthält weit weniger als die für den Verzehr zulässige Menge (rechts). Foto: Texas A&M AgriLife

Um den Gossypol-Gehalt in den Samen zu senken, schaltete der Forscher die Produktion des Enzyms Delta-Cadinen-Synthase ab. Dieses stellt den Vorläufer des giftigen Pigments her. Der Schritt gelang ihm mithilfe der sogenannten RNA-Interferenz. Das Verfahren nutzt aus, dass die DNA im Zellkern nicht direkt den Stoffwechsel steuert, sondern über einen Boten – die Boten-RNA. Mittels RNA-Interferenz lässt sich dieser Bote gezielt abfangen und zerstören. Die Produktion des zugehörigen Proteins wird unterbunden.

In der Natur kommen zwar Gossypol-freie Arten vor. Aber sämtliche Versuche, sie mit der Landwirtschaftsvariante zu kreuzen und eine entsprechende Baumwollsorte auf den Markt zu bringen, scheiterten. „Die Pflanzen wurden von Insekten geradezu vernichtet “, sagt Rathore. Denn das Gift erfüllt einen Zweck: Es schützt die Pflanze vor Insekten-, Bakterien- und Pilzbefall. Rathore suchte daher nach einem Weg, die Gossypol-Produktion ausschließlich in den Samen zu unterbinden. Im Rest der Pflanze sollte die Giftabwehr aktiv bleiben. Die RNA-Interferenz bot ihm genau diese Möglichkeit.

In den ersten zehn Forschungsjahren kämpfte Rathores Gruppe immer wieder mit einem Mangel an Forschungsgeldern. Nach dem ersten wissenschaftlichen Beweis in 2006, dass die Methode funktioniert, stieg das Unternehmen Cotton Inc. maßgeblich in die Finanzierung ein.

Die neue Eigenschaft ließ sich in existierende Landwirtschaftssorten einkreuzen, blieb stabil und wurde sieben Jahre in Feldversuchen getestet. „Die Jungpflanzen produzieren in ihren Blättern, Blüten und so weiter dieselbe Gossypol-Menge wie unveränderte Pflanzen“, sagt Rathore. Schädliche Auswirkungen habe man nicht gefunden. Die Texas A&M University verhandelt nun mit Unternehmen, die die neue ULGCS-Sorte in ihre Landwirtschaftssorten einkreuzen wollen.

Aus dem Samenmehl ließen sich dem Wissenschaftler zufolge beispielsweise zusammen mit Weizen- oder Maismehl Brot oder Tortillas herstellen. „Am besten geeignet wären unsere gossypol-freien Baumwollsamen allerdings meiner Meinung nach als Tierfutter für Hühnchen, Fische und Shrimps“, schlägt Rathore vor.

VERONIKA SZENTPÉTERY-KESSLER