MIT Technology Review 3/2019
S. 96
Fundamente
Jubiläum

Kernschmelze in Pennsylvania

Vor 40 Jahren kam es zum weltweit ersten GAU eines Atomreaktors. Die USA schrammte nur knapp an einer Katastrophe wie in Fukushima vorbei.

US-Präsident Jimmy Carter (Mitte) vier Tage nach dem Unglück im Kontrollraum. Foto: AP/ Dpa Picture-Alliance

Am 28. März 1979 geht bei Block 2 des nagelneuen Druckwasserreaktors „Three Miles Island“ nahe Harrisburg so ziemlich alles schief, was schiefgehen kann. Zunächst ist lediglich ein Filter im sekundären Kühlkreislauf verstopft. Dadurch schalten sich gegen vier Uhr morgens die Kühlwasserpumpen aus. Der Reaktor fährt acht Sekunden später automatisch herunter, produziert aber immer noch Wärme im Megawatt-Bereich. Hilfspumpen springen planmäßig ein, können aber nichts ausrichten, weil kurz zuvor bei Wartungsarbeiten zwei Ventile geschlossen wurden.

Das überhitzte Wasser im primären Kühlkreislauf erzeugt daraufhin einen Überdruck, durch den sich ein Sicherheitsventil öffnet. Eigentlich sollte es sich zehn Sekunden später von allein wieder schließen, doch es klemmt und bleibt offen. So dringt immer mehr radioaktives Kühlwasser ins Reaktorgebäude – und fehlt im Kühlkreislauf.

Die Bedienmannschaft hat von alldem keine Ahnung. Eine fehlerhaft konstruierte Anzeige signalisiert ihr nämlich, das Überdruckventil sei zu. Zudem gibt es keine direkte Anzeige für den Kühlwasserpegel im Reaktorkern. Die einzige Wasserstandsanzeige befindet sich im Druckausgleichsbehälter, und der ist fast voll, weil Wasser vom Reaktor durch den Behälter nach draußen strömt.

Noch wäre die Situation beherrschbar gewesen. „In den ersten hundert Minuten hätte jede beliebige aus einer großen Anzahl von Maßnahmen eine angemessene Kühlung sichergestellt“, resümiert der Wissenschaftsautor J. Samuel Walker. Doch die Mannschaft verbeißt sich ausgerechnet in eine Idee, die alles nur noch schlimmer machen sollte: Sie ist überzeugt, den hohen Wasserstand im Ausgleichsbehälter senken zu müssen. Als die Pumpen des Notkühlsystems wegen des Druckverlusts automatisch anlaufen und Wasser in den Reaktorkern drücken, schalten die Operatoren sie kurzerhand wieder ab.

Danach wird es richtig hässlich: Die Brennstäbe fallen trocken und schmelzen zur Hälfte. Hitze und chemische Reaktionen erzeugen explosiven Wasserstoff, der sich unter der Kuppel zu einer Blase sammelt. Währenddessen laufen die Auffangbecken für das entwichene Kühlwasser über. Es wird in Behälter in Nebengebäuden gepumpt, wodurch radioaktives Material in die Umgebung gelangt. Am frühen Vormittag erreicht die Radioaktivität den Kontrollraum, die Bedienmannschaft muss Schutzanzüge anziehen. Wenig später explodiert offenbar die Wasserstoffblase.

Immerhin hält das Reaktorgebäude stand. 14 Stunden nach dem Unfall gelingt es endlich, die Kühlung wieder zum Laufen zu bringen. Ansonsten wäre die gesamte Gegend im Herzen Pennsylvanias, gut hundert Kilometer von Baltimore und Philadelphia entfernt, wohl bis heute unbewohnbar. So aber empfehlen die Behörden lediglich schwangeren Frauen und Vorschulkindern, eine Zone von 32 Kilometern rund um das Kraftwerk zu meiden. 140000 Menschen folgen der Empfehlung, kommen meist aber schnell wieder zurück.

Die offizielle Untersuchungskommission sah keine gravierende Gesundheitsgefahr für die Bevölkerung. Atomkraftgegner zweifeln das an. Unumstritten hingegen ist, dass erst zahlreiche Schlampereien bei Hersteller, Betreiber und Überwachungsbehörde aus einem harmlosen Störfall eine Beinahe-Katastrophe machen konnten. So fand die Kommission unter anderem heraus, dass das Überdruckventil zuvor bereits elfmal versagt hatte.

Die Aufräumarbeiten dauerten bis 1993 und kosteten knapp eine Milliarde Dollar. Block 1 läuft immer noch, wenn auch unrentabel. Seine Betriebserlaubnis gilt bis 2034, der Betreiber will ihn aber 2019 stilllegen. GREGOR HONSEL