MIT Technology Review 1/2020
S. 60
Horizonte
Navigation
Mysteriöse Geisterschiffe erschienen im Hafen von Shanghai. Foto: Shutterstock, Ron Eggleton / Marinetraffic.com

Geisterschiffe, Kornkreise und weiches Gold

Im verkehrsreichsten Hafen der Welt führte ein rätselhafter Angriff auf Navigationssysteme reihenweise Schiffe in die Irre. Wer steckt dahinter – und worin liegt der Zweck?

Von Mark Harris

In einer lauen Sommernacht im Juli 2019 erreicht das amerikanische Containerschiff „Manukai“ den Hafen von Shanghai. Während die Crew das 210 Meter lange Schiff vorsichtig durch den verkehrsreichsten Hafen der Welt manövriert, beobachtet der Kapitän seinen Navigationsbildschirm. Dort kann er die Identität, Position, Geschwindigkeit und den Kurs von Schiffen in der Umgebung sehen. Die Daten stammen vom Automatischen Identifikationssystem (AIS). Nach internationa­lem Seerecht müssen alle größeren kommerziellen Schiffe einen Transponder installiert haben, der die per GPS ermittelten Positionen an das AIS überträgt. Es erlaubt, ihre Routen nachzuverfolgen und den Seeverkehr besser zu lenken.

Das AIS-Display der „Manukai“ zeigt ein anderes Schiff, das angeblich mit sieben Knoten flussaufwärts fährt. Plötzlich verschwindet es vom Bildschirm und taucht wenige Minuten ­später an anderer Stelle wieder auf – am Dock. Dann ist es angeblich wieder auf dem Fluss, dann wieder am Dock, dann verschwindet es erneut. Schließlich greift der Kapitän zum Fernglas, sucht den Hafen ab und findet das Schiff. Es lag die ganze Zeit fest vertäut am Dock.