MIT Technology Review 3/2020
S. 3
Editorial
© Joanna Nottebrock

Liebe Leserinnen und Leser,

Ethik ist mittlerweile auch im Bereich der künstlichen Intelligenz ein wichtiges Thema – völlig zu Recht. Deutlich wird das etwa bei der Gesichtserkennung, wenn Firmen wie Clearview die Technologie nutzen, um für Strafverfolgungsbehörden im Internet nach Verdächtigen zu suchen (Seite 10).

In anderen Bereichen aber sollte sich die Frage nach dem richtigen Umgang mit KI erst gar nicht stellen – schlicht weil es dort keinen richtigen Umgang gibt. Wer sie trotzdem stellt, verwechselt ethische Grenzen mit technologischen Grenzen.

2016 warnten wir zum ersten Mal vor der Gefahr, dass Algorithmen keineswegs so objektiv urteilen, wie viele es gern hätten, dass sie unfaire Schlüsse ziehen und sogar rassistisch sein können. Umso erschreckender ist, dass die Technologien dazu nun in der breiten Öffentlichkeit ankommen. Zahlreiche Firmen – etablierte Unternehmen wie Start-ups – behaupten, mittels KI die besten Bewerber für einen Job auswählen zu können. Sie werben damit, Emotionen zu analysieren und daraus Rückschlüsse auf die Absichten des Beobachteten ableiten oder das Verhalten von Menschen aus den über sie gesammelten Daten vorhersagen zu können. KI wird zum Schicksalswerkzeug. Es ist also höchste Zeit, die Versprechungen zu hinterfragen (Seite 28). Manch eine ethische Debatte erübrigt sich dann.

Aber wir wären nicht Technology Review, würden wir nur schreiben, wie es nicht sein soll. Mindestens ebenso gern berichten wir darüber, wie es sein soll. Gründe für Optimismus gibt es schließlich genug. Das zeigen etwa die Arbeiten von Julia Jansing: Sie hat Pflanzen in Produzenten für Impfstoffe oder Antikörper verwandelt. Damit lassen sich Medikamente, etwa gegen das derzeit grassierende Coronavirus, günstiger und schneller produzieren (Seite 38). Oder die Forschung von Franck Zal: Er steht kurz davor, den weltweit ersten wirklichen Blutersatz für Menschen zur ­Verfügung zu stellen. Er dürfte künftig viele Leben retten (Seite 52).

Freuen Sie sich also auf unsere März-Ausgabe.

Ihr

Robert Thielicke